Episode 30: Weisheit

Was ist Weisheit, wo bleibt sie in einer Welt der kalten Informationen und wie kommt man in Berührung mit ihr?

»Die Moderne hat vergessen, dass Fakten und Informationen trotz all ihrer Nützlichkeit nicht dasselbe sind wie Weisheit, und ganz bestimmt nicht dasselbe wie das direkte Erleben der Wirklichkeit. Wir haben den Kontakt mit intuitiver Weisheit, die aus Ruhe und Stille geboren wird, verloren und wir sind an einem Meer von Informationen gestrandet, das sein Versprechen auf stets wachsendes Glück und auf Erfüllung nicht halten kann.«

– Adyashanti: The way of liberation, p.30

  • Brockhaus: Weisheit ist…
    • Das (vorwissenschaftl.) Erfahrung und (Lebens-) Klugheit zusammenfassende und weiterführende Wissen, das überlegen und zugleich taktvoll bescheidene Sicherheit im Verhalten zu Welt und Menschen verleiht; schon von Platon als Kardinaltugend (sóphron) beschrieben.
    • AT & Relig.gesch.: die an höfischen Schulen bes. im alten Orient zur Ausbildung von Beamten und Gelehrten gepflegte Lehre von Klugheit, Tüchtigkeit, Maß u. Wissen, orientiert an einer alles durchwaltenden Weltordnung; … Ziel der vernünftigen Regelung menschlichen Verhaltens in der Gemeinschaft… die Personifikation der Weisheit wird seit der hellenist. Zeit zur Sophia.
  • Wikipedia:

Weisheit (altgriechisch σοφία sophía, lateinisch sapientia) bezeichnet vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.

Es gibt mehrere Definitionen und Konzepte von Weisheit, die sich in der Regel in den Spannungsräumen zwischen Rationalität und Intuition, Wissen und Glauben sowie zwischen Erfahrung und Instinkt bewegen. Weitgehende Übereinstimmung herrscht in der Ansicht, dass Weisheit von geistiger Beweglichkeit und Unabhängigkeit zeugt: Sie befähigt ihren Träger, systematisch Dinge

-zu denken („eine weise Erkenntnis“, „ein weiser Entschluss“, „ein weises Urteil“),

-zu sagen („ein weises Wort“, „ein weiser Rat“) oder

-zu tun („ein weises Verhalten“),

die sich in der gegebenen Situation als nachhaltig sinnvoll erweisen. Dies geschieht häufig unter Vermeidung störender Einflüsse, wie beispielsweise dem eigenen Gefühlszustand oder gesellschaftlichem Gruppenzwang. … Entsprechendes gilt für Worte und Handlungen, die der Weise nach reiflicher Überlegung nicht ausspricht oder tut (vgl. „Si tacuisses, philosophus mansisses“ „Wenn du geschwiegen hättest, so wärest du ein Philosoph geblieben.“ ). Weisheit wird zu den Kardinaltugenden gezählt.

  • Mark Passio: Weisheit ist eine zielführende moralisch richtige Handlung, die aus dem Trivium-Prozess resultiert.
    • Nur wenn Weisheit auf korrekter Verarbeitung von richtigem Wissen (mit Wirklichkeitsbezug) beruht und Konflikte in Gerechtigkeit zu überführen sucht, kann sie erfolgreichen Ratschlag geben.
    • Er begründet die Notwendigkeit zu handeln damit, dass Wissen, das nicht in Handlung umgewandelt wird, nicht wirklich verstanden wurde. Wenn neues Wissen im Rezipienten keine Änderung hervorruft, ist entweder das Wissen oder der Rezipient nicht weise.

Heutige Wissenschaft ist per Definition nicht Weisheit; sie ist sezierend, abstrahierend, objektivierend, dekontextualisierend, entmoralisiert, entspiritualisiert, und kann daher keine Handlungsanweisungen geben.

CG Jung schreibt in „Gegenwart und Zukunft“, dass die Weltsicht der derzeit dominanten Form der Wissenschaft Menschen als austauschbare Standardeinheiten in einer Masse erscheinen lässt. Sie zeichnet aus statistischen Daten ein abstraktes Bild, das konkreter Referenz in der Wirklichkeit entbehrt. Ein Beispiel ist das statistische Mittel der Geburten pro Frau, zur Zeit etwa 1,5 in Deutschland.

Das individuelle Wesen oder Phänomen dagegen ist einzigartig und daher unreduzierbare Wirklichkeit. Es besitzt Eigenschaften, die der Wissenschaft unbekannt sind, sich ihren Maßnehmen entziehen und verleugnet werden, etwa Würde, Moral, Sinn, Seele, Bewusstsein und Geist.

Diesen Gegensatz muss man im Auge bewahren. Es geht hier nicht um die Entwertung wissenschaftlicher verallgemeinernder Erkenntnis, sondern es soll herausgestrichen werden, dass universelle Prinzipien auf den konreten Fall, die konkrete Situation, das konkrete Individuum angewendet werden müssen. Nur das Individuum kann das leisten.

Weisheitstraditionen handeln in PRINZIPIEN, nicht in FAKTEN, in individuellem AUSDRUCK, nicht in GENERALISATION, also in REALISATION, in VERSTEHEN, (also auch in korrektem Handen) nicht in angelesenem autoritativem Wissen oder Dogmen.

Weisheitstraditionen anerkennen die Existenz einer Schöpferkraft. Sie propagieren keinen Glauben – zumindest die esoterischen Traditionen –, sondern vermitteln Verständnis dafür, was ist. Jeder hat von Geburt an Zugriff darauf, aber die Fähigkeit liegt heute in einem Schlummer und muss ‚erweckt‘ und trainiert werden.

Dagegen wehren sich Menschen aktiv, z.B. die sog. Skeptiker, Kleriker, jede Art von Opportunisten, Wirtschaft, Staat und Politik.

Ken Wilber: Man muss, um mitreden zu können, das Experiment an sich selbst durchführen. Er sagt:

»Sie dürfen versichert sein, dass derartige Aussagen bei Plotin, Asanga, Garab Dorje, Abhinavigupta oder Shankara keineswegs nur theoretische Ahnungen oder metaphysische Postulate sind. Dies sind unmittelbar erfahrene Enthüllungen, die direkt aus der subtilen Dimension der Wirklichkeit hervorgehen. Sie werden von diesen Menschen gemäß ihrem kulturellen Hintergrund interpretiert, aber sie stammen aus dieser tiefen ontologischen Wirklichkeit, aus diesem subtilen Welt-Raum.«

»Wenn man wissen will, wovon diese Männer und Frauen eigentlich reden, dann muss man die kontemplative Praxis oder das kontemplative Paradigma ergreifen und das Experiment selbst durchführen.«

[Es handelt sich um] eine meditative Erfahrung, und man kann sie nicht verstehen, wenn man das Experiment nicht selbst durchführt. Es sind keine Bilder im mythischen Welt-Raum, es sind keine philosophischen Konzeptionen im rationalen Welt-Raum – es sind meditative Phänomene im subtilen Welt-Raum.

»Die weitaus am häufigsten akzeptierte Interpretation lautet, dass man die Grundformen und das Fundament der ganzen manifesten Welt schaut. Man blickt geradewegs in das Antlitz des Göttlichen,«

– Ken Wilber: Eine kurze Geschichte des Kosmos. Fischer, Frankfurt/M., 1997, S. 281.

Viele Traditionen warnen vor den Gefahren des Lehrens: Christus, Hiram Abif, Sokrates, Christian Rosenkreutz etc. Deshalb Okkultismus, Esoterik (s. Nächste Sendung)

Einige bis heute lebendige Traditionen:

  • Hermetik
  • die Veden und Upanishaden
  • Ur-Buddhismus, Zen
  • Kabbala
  • Urchristentum
  • Mystizismus div. Relig. (Sufismus, Bahai etc.)
  • Konfuzianismus
  • Taoismus
  • Freimaurertum
  • Rosenkreuzertum
  • Theosophie
  • Anthroposophie
  • Nicht: die exoterischen Religionen, New Age, Selbstverbesserungslehren, Politik oder Wirtschaft
  • Die Sprache der Weisheit besteht in: Metapher, Allegorie, Gedicht, Symbolik, Tarot, Astrologie, Numerologie

Literatur:

  • The way of liberation / Adyashanti
  • Gegenwart und Zukunft / C. G. Jung
  • Eine kurze Geschichte des Kosmos / Ken Wilber

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