Episode 33: Gott & ALL

1 »Diese Rede will ich dir halten, mein Thoth, damit du über den so mächtigen Namen Gottes unterrichtet seist. Du aber denke nach, wie das, was den meisten unsichtbar erscheint, dir sehr wohl sichtbar werden kann. Denn er wäre nicht, wenn er unsichtbar wäre. Alles Erschienene ist gezeugt, denn es ist sichtbar. Nur das Unsichtbare ist ewig, denn es bedarf des Erscheinens nicht: Es ist nämlich ewig. Aber alles andere macht Gott sichtbar, obwohl er selbst unsichtbar ist, weil er ewig ist. Obwohl er sichtbar macht, wird er selbst nicht sichtbar, weil er nicht gezeugt ist. Durch die Vorstellung bringt er alle Vorstellungen hervor. Nur die Gezeugten haben die Vorstellung. Denn die Schöpfung ist nichts anderes als Vorstellung .

2 Der Eine aber ist ungezeugt, folglich auch unvorstellbar und unsichtbar. Indem er aber alles zur Vorstellung bringt, erscheint er durch alles und in allem und am meisten denen, denen er selbst erscheinen will.

– Corpus Hermeticum, V: (Rede) des Hermes an seinen Sohn Tat, dass der unsichtbare Gott sehr wohl sichtbar ist, Vers 1-2, übers.v. Karl-Gottfried Eckart; Fettdruck: JH

Einer unserer Kollegen, der Buchautor Mark Devlin, hat unlängst, wie so viele andere vor ihm, einen Shitstorm mit seinen Fragen zur Natur Gottes ausgelöst. Das lässt sich wohl nicht vermeiden, wenn man über dieses Thema spricht. Dann sei es eben so. Ich nehme hiermit das Recht auf Rede- und Religionsfreiheit wahr, zwei in vielen Verfassungen gewährte Menschenrechte, die ich qua Geburt, also von Natur aus sowieso habe.

Als ich in Sendung 24 und 25 Gott definierte, haben sich bestimmt manche gefragt, wie ich mir das erlauben könnte. Kann man Gott eingrenzen? Beschreiben?

Nein. Ich habe definiert, was ich meine, wenn ich das Wort benutze, nicht, was Gott wirklich ist. Keine Definition, kein sprachlicher Ausdruck kann je überhaupt irgend etwas in seiner Gesamtheit beschreiben, weil Sprache stets eine Abstraktion erzeugt. Das ist ihre Aufgabe. Sie macht die Wirklichkeit für das linke Gehirn verarbeitbar. Für diesen Zweck gibt es Wörter und Namen, und man kann Aussagen darüber treffen, was Gott ist (z.B. omniszient) oder was er nicht ist (z.B. geschlechtlich), ohne ihn in seiner Totalität zu beschreiben.

Analog dazu kann man zB Funktionsweise und Bau eines Autos theoretisch verstehen, sogar alle Teile „haben“, auch wenn man nicht in der Lage ist, es tatsächlich zusammenzusetzen und zu fahren.

Was kann man nun wirklich wissen?

Fangen wir mit einer Begriffsbestimmung an:

Mit Gott meine ich die Schöpferkraft, das hermetische ALL, den Gott der Genesis und des NT; der ALL-Gott ist das Thema dieser Episode;

mit Götter meine ich astrotheologischen Kräfte, die im Rest des AT auftreten bzw. die Götter der antiken Religionen, die mit einander in Wettstreit um die Gunst der Menschen stehen und diese quälen und töten;

mit Götzen meine ich die kleinen Götter, die wir selbst durch unsere eigene Wahl zur Macht über uns verhelfen, z.B. Satan, Geld, Ego, Autorität.

Sokrates und Christus

21 Wenn du aber deine Seele im Körper verschließt und sie demütigst und sagst: ‚Nichts weiß ich, ich kann nichts, ich fürchte mich vor dem Meer, in den Himmel aufzusteigen vermag ich nicht; ich weiß nicht, wer ich war; auch wer ich sein werde, weiß ich nicht‘, was hast du dann mit Gott zu schaffen? Dann vermagst du nichts vom Schönen und Guten zu erkennen, denn du liebst den Körper und bist schlecht. Vollkommene Schlechtigkeit ist es, das Göttliche nicht zu erkennen.

– Corpus Hermeticum, XI: Nous zu Hermes, Vers 21, übers.v. Karl-Gottfried Eckart;

Lassen wir falsche Bescheidenheit beiseite.

Wenn Sokrates sagt: „Ich weiß nur, dass ich nichts weiß“ [Platon: Apologie des Sokrates, stark verkürzt nach Cicero], dann ist dies relativ zum ALL zu sehen, nicht wörtlich. Es ist keineswegs solipsistisch gemeint. Er versucht von einer Position vorsätzlichen Nichtwissens auszugehen, um zum Wissen über das Gute zu gelangen.

Und der Beweis ist, dass Sokrates sich den Schergen ausgeliefert hat, weil er den objektiven Unterschied zwischen Richtig und Falsch kannte. Obwohl er den Häschern hätte entkommen können, opferte er sein Leben, um Zeugnis abzugeben vom Primat der Tugendhaftigkeit.

Es gibt Dinge – auch über Gott –, die man wissen kann.

So finden wir im Johannes-Evangelium die berühmte Passage:

Jesus sprach nun zu den Juden, die ihm geglaubt hatten: Wenn ihr inmeinem Wortbleibt, so seid ihr wahrhaft meine Jünger; und ihr werdetdie Wahrheit erkennen, unddie Wahrheit wird euch frei machen.

– Joh 8:31f

Gott selbst in Gestalt des Christus – des Fleisch gewordenen Wortes – spricht über sich und sein Reich, und dass er als Wahrheit für den Menschen erkennbar ist. Mehr noch: dass Befreiung (also Erlösung) nur so zu erlangen wäre.

Man muss also über ihn reden können. Dafür gibt es Wörter, mit denen man ihn bezeichnet. Jeder hat eine andere Vorstellung von Gott, daher habe ich definiert, was ich damit meine, wenn ich es in den Mund nehme:

die Schöpferkraft, Das ALL, Das-Was-Ist, das höchste Bewusstsein, Spirit, Wahrheit, das Gute, Liebe.

All dies sind schwer zu fassende, kaum vorstellbare Begriffe – und das muss so sein. Wir sollen uns ja kein Bild von Gott machen, sondern ihn intuitiv spüren und die Intuition deuten. Kein Bild könnte ihm gerecht werden. Es würde nur in die Irre führen.

Es ist also nicht so, dass man nichts über seine Eigenschaften sagen könnte. Man kann ihn lediglich nicht ganz erfassen. Und das muss man im Bewusstsein halten, wenn man seinen Namen spricht oder hört.

Gott in der Hermetik

9 … Dies ist Wahrnehmung und Denken Gottes, alles ständig zu bewegen; nie wird es eine Zeit geben, zu der irgendetwas vom Seienden verlassen werden wird. Wann immer ich aber vom Seienden spreche, spreche ich von Gott. Gott enthält das Seiende: Weder ist etwas außerhalb von ihm, noch ist er außerhalb von etwas.

– Corpus Hermeticum, IX: Über Denken und Wahrnehmung, Vers 9, übers.v. Karl-Gottfried Eckart

Die Hermetik leitet Gottes Eigenschaften folgendermaßen her:

Kybalion:

Wenn wir uns umschauen, so sehen wir nur Wandel. Und doch haben die Denker aller Zeiten und Völker ein Substrat, ein Absolutum angenommen, auf dem dieser Wandel stattfindet. Einer der vielen Namen dieses Substrats war GOTT, andere nannten es „das ALL“.

Die Natur des Alls lässt sich nicht greifen. Es ist schlicht zu groß. Da wir uns in ihm bewegen und ein Teil von ihm sind, können wir gewisse Merkmale beobachten, und wir können anderes logisch ergründen:

1. Das ALL muss alles sein, was wirklich ist. Es kann nichts geben, das außerhalb des Alls existiert, sonst wäre das ALL nicht das ALL.

2. Das ALL muss unendlich sein, denn es gibt sonst nichts, das ALL zu definieren, zu beschränken, zu begrenzen.

Es muss unendlich sein in der Zeit oder ewig – es muss immer fortdauernd existiert haben, denn es gibt nichts, von dem es hätte erschaffen werden können – und etwas kann niemals aus nichts entstehen, und wenn es jemals nichts gewesen wäre, nur für einen Augenblick, würde es jetzt nicht sein. Es muss immer, fortdauernd existiert haben, denn es gibt nichts, von dem es zerstört werden könnte. Es kann nie nicht sein, auch nicht nur für einen Augenblick, denn etwas kann niemals nichts werden.

Es muss unendlich sein im Raum, es muss überall sein, denn es gibt keinen Ort außerhalb des Alls, es kann nicht anders als zusammenhängend im Raume sein, ohne Lücken, Aufhören, Trennung oder Unterbrechung, denn es gibt nichts, das seinen Zusammenhang unterbrechen oder trennen könnte, nichts, das die Lücken ausfüllen könnte.

Es muss unendlich sein in der Macht oder absolut, denn es gibt nichts, von dem es begrenzt, eingeschränkt, zurückgehalten, gestört oder bedingt werden könnte – es ist keiner anderen Macht untertan, weil es keine andere Macht gibt.

3. Das ALL muss unveränderlich sein, in seiner realen Natur keinem Wechsel unterworfen, denn es gibt nichts, das eine Veränderung am All hervorbringen könnte. Es gibt nichts, in das es umgeändert werden könnte, nichts, aus dem es durch Veränderung entstehen hätte können.

Es kann zu nichts hinzugefügt werden und von nichts abgezogen werden; es lässt sich nicht vermehren und nicht vermindern; noch kann es in irgendeiner Hinsicht größer oder kleiner werden. Genau das, was es jetzt ist – das ALL – muss es immer gewesen sein und muss es immer bleiben.

Etwas anderes, in das es sich hätte umändern können, hat es nie gegeben, gibt es jetzt nicht und wird es nie geben. Daraus, dass das ALL unendlich, absolut, ewig und unveränderlich ist, folgt, dass alles, was endlich, bedingt, wechselnd und fließend ist, nicht das ALL sein kann. Und da es tatsächlich nichts außerhalb des Alls gibt, müssen alle und jede endlichen Dinge in Wirklichkeit soviel wie nichts sein. …

Wir sehen um uns das, was Materie heißt, was die physische Grundlage für alle Lebensformen bildet. Ist das ALL nur Materie? Ganz und gar nicht! Materie kann nicht Leben oder GEIST offenbaren, da aber Leben und GEIST im Universum manifestiert sind, kann das ALL nicht Materie sein; denn nichts steigt höher als seine eigene Quelle – nichts ist je in einer Wirkung manifestiert, was nicht schon in der Ursache enthalten ist . Weiter lehrt uns die moderne Wissenschaft, dass es in Wirklichkeit Materie nicht gibt – dass das, was wir Materie nennen, nur „unterbrochene Energie oder Kraft“ ist, das heißt Energie oder Kraft in ganz niederer Schwingung. …

Dann ist das ALL nur Energie oder Kraft? Nicht Energie oder Kraft im Sinn der Materialisten, denn ihre Energie und ihre Kraft sind blind, und mechanisch, ohne Leben oder GEIST. Leben und GEIST kann sich niemals aus blinder Energie oder Kraft entwickeln,… wir aber wissen, dass es Leben und GEIST gibt, denn wir leben und gebrauchen GEIST, um diese Frage zu betrachten, – so wie diejenigen, die behaupten, dass Energie und Kraft alles sei.

Was gibt es denn Höheres im Universum als Materie und Energie? Leben und GEIST! Leben und GEIST in all den verschiedenen Graden der Entfaltung. „Dann“, fragt ihr, „wollt ihr uns sagen, dass das ALL Leben und GEIST sei? „Ja und Nein!“ ist unsere Antwort. Wenn ihr Leben und GEIST meint, wie wir arme kleine Sterbliche es kennen, sagen wir Nein! Dies ist nicht das ALL! „Aber welche Art von Leben und GEIST meint ihr dann?“ fragt ihr uns.

Die Antwort ist „lebender GEIST, so hoch erhaben über das, was Sterbliche unter diesen Worten verstehen, als Leben und GEIST höher sind als mechanische Kräfte oder Materie – unendlicher, lebender GEIST verglichen mit endlichem Leben und GEIST.“

Wir meinen das, was die erleuchteten Seelen meinen, wenn sie ehrfürchtig das Wort Spirit (Reiner Geist) aussprechen. Das ALL ist unendlicher lebender GEIST – die Erleuchteten nennen es Reiner Geist.

Aber was ist Reiner Geist? Diese Frage lässt sich nicht beantworten, weil eine Definition des Reinen Geiste praktisch der Definition des Alls gleichkäme; das All aber kann weder erklärt noch definiert werden. Reiner Geist (Spirit) ist einfach ein Name. Reiner Geist übersteigt unsere Erkenntnis, wir gebrauchen den Ausdruck nur, um an das ALL zu denken und von ihm zu sprechen. Um an Reinen Geist denken zu können und ihn einigermaßen zu verstehen, sind wir berechtigt ihn uns als unendlichen, lebenden GEIST zu denken, freilich muss es uns immer bewusst sein, das wir ihn niemals voll begreifen können. Entweder muss uns dies bewusst bleiben oder wir müssen überhaupt aufhören, darüber nachzudenken.

15 »Was könnte man denn wohl als die erste Wahrheit bezeichnen, mein Vater?« – »Nur den Einen und Alleinigen, mein Tat, der nicht aus Materie ist, der nicht in einem Körper ist, den Farblosen, den Gestaltlosen, den Unwandelbaren, der sich nicht verändert, der ewig ist.

– Corpus Hermeticum: Stobaeus-Fragment II A, Vers 15., übers.v. Karl-Gottfried Eckart;

Ist das Universum das ALL? Nein, dies kann nicht sein, weil das Universum … in fortwährendem Wechsel begriffen ist;

Wenn das Universum überhaupt existiert oder zu existieren scheint, muss es irgendwie vom All ausgehen, muss es eine Schöpfung des Alls sein. Da aber etwas niemals von nichts kommen kann, woraus könnte das ALL das Universum erschaffen haben?

Weil das ALL weder einen Teil seines Selbst übertragen und abgeben, noch sich selbst reproduzieren oder vervielfältigen kann, bleibt nur eine mentale Schöpfung. Das Universum und alles, was es enthält, ist eine mentale Schöpfung des Alls. Wahrlich alles ist GEIST!

Das ganze Universum ist eine Schöpfung des Geistes, und daher können wir festhalten, dass wir innerhalb des Geistes Gottes existieren.

– Die drei Eingeweihten

„Das ALL schafft in seinem unendlichen GEIST zahllose Universen, die durch Äonen bestehen – und doch, für das ALL ist Erschaffung, Entfaltung, Verfall und Tod von Millionen von Universen nicht länger als ein Augenblick“, spricht auch Das Kybalion

Das ALL ist das Gesetz, aus dem die Gesetze hervorgehen, und ist ihm nicht unterworfen.

Der GEIST hat die NATUR geschaffen, die NATUR gebärt alle Dinge im Universum, die den Naturgesetzen unterworfen sind.

20 … Gott aber ist um alles und durch alles, denn er ist Wirkung und Kraft. Und es ist in keiner Weise schwierig, mein Kind, Gott zu bedenken. 21 Wenn du ihn aber auch anschauen willst, sieh die Ordnung des Kosmos und die Schönheit dieser Ordnung.

– Corpus Hermeticum, XII: Hermes Trismegistos an Thoth: Über den allgemeinen Urgedanken, Vers 20f., übers.v. Karl-Gottfried Eckart;

Literatur:

  • Das Kybalion / Die drei Eingeweihten
  • Das Corpus Hermeticum, einschl. d. Fragmente d. Stobaeus / a.d.Griech.v. Karl-Gottfried Eckart. – LIT, 1999
  • Apologie des Sokrates / Platon

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