3 Im Menschen aber ist das Gute nur in der Mischung mit dem Schlechten angelegt. Was nicht übermäßig schlecht ist, heißt hier gut; was aber hier gut heißt, ist nur der kleinste Teil des Schlechten. Also ist hier unmöglich das Gute vom Schlechten zu reinigen; denn das Gute gerät hier zum Schlechten. Wenn es dann zum Schlechten geraten ist, kann es nicht länger gut bleiben; wenn es nicht bleibt, ist es schlecht.
– Corpus Hermeticum, VI: Dass nur in dem einen Gott das Gute ist und sonst nirgends, Vers 3, übers.v. Karl-Gottfried Eckart; Fettdruck: JH
„Alles ist dual; alles hat zwei Pole; für alles gibt es ein Paar von Gegensätzen; Gleiches und Ungleiches sind dasselbe; Gegensätze sind identisch in der Natur, aber unterschiedlich im Grad; Extreme treffen aufeinander; alle Wahrheiten sind nur Halbwahrheiten; alle Paradoxien können versöhnt werden.“
„Der Geist kann von Zustand zu Zustand, von Grad zu Grad, von Zustand zu Zustand, von Pol zu Pol, von Schwingung zu Schwingung umgewandelt werden.“
– Das Kybalion
Die drei Eingeweihten schreiben:
Das große vierte hermetische Prinzip der Polarität enthält die Wahrheit, dass alle manifestierten Dinge „zwei Seiten“ haben, „zwei Aspekte“, „zwei Pole“, „zwei Gegensätze“ mit mannigfaltigen Stufen zwischen den beiden Extremen. Die alten Paradoxa, die immer den Geist des Menschen verblüfft haben, werden durch das Verstehen dieses Prinzips erklärt. Der Mensch hat schon immer etwas von diesem Prinzip Verwandtes erkannt und hat es in Sprichwörtern, Maximen und Aphorismen auszudrücken gesucht, wie z. B. „Alles ist und ist nicht zur gleichen Zeit“; „Alle Wahrheiten sind nur Halb-Wahrheiten“; „Jede Wahrheit ist halb falsch“; „Jedes Ding hat zwei Seiten“; „Jedes Schild hat eine Kehrseite“; usw. usw.
Die hermetischen Lehren gehen dahin, dass de Unterschiede zwischen Dingen, die scheinbar diametral entgegengesetzt sind, nur im Grade besteht. Sie lehren, dass die „zwei Gegensätze mit einander versöhnt werden können“; und dass „These und Antithese ihrer Natur nach identisch sind, nur im Grade verschieden“; und dass „die universale Versöhnung der Gegensätze durch die Erkenntnis des Prinzips der Polarität erreicht werden kann“. Die Lehrer machen darauf aufmerksam, dass Illustrationen für dieses Prinzip leicht gefunden werden können, und zwar durch eingehende Prüfung der wahren Natur jedes Dings. Vorerst zeigen sie uns, dass „Spirit“ und Materie nur die beiden Pole desselben Dinges sind, die Mittelebenen nur Schwingungsgrade. Sie zeigen, dass das All und das Vielerlei dasselbe sind, dass der Unterschied nur im Grade der mentalen Manifestation besteht. So sind auch das Gesetz und die Gesetze die entgegengesetzten Pole desselben Dinges, gleicherweise das Prinzip und die Prinzipien, der unendliche Geist und die endlichen Geister.
Eingehend auf der physischen Ebene, illustrieren die Lehrer das Prinzip, indem sie zeigen, dass Hitze und Kälte der Natur nach identisch sind, die Unterschiede nur im Grade bestehen. Das Thermometer zeigt viele Temperaturgrade, der niederste Pol wird „Kälte“, der höchste Pol „Hitze“ genannt. Zwischen diesen beiden Polen sind viele Grade von „Wärme“ und „Kälte“, man kann sie so oder so nennen, man hat immer recht. Der höhere von zwei Graden ist immer „wärmer“, während der niedere immer „kälter“ ist. Es gibt keinen absoluten Maßstab, alles ist nur vom Grade abhängig. Es gibt keinen Punkt am Thermometer, wo Wärme aufhört und Kälte beginnt. Es ist alles nur höhere oder niedere Schwingung.
Die Ausdrücke „hoch“ und „nieder“ selbst, die wir gezwungenermaßen verwenden, sind nur Pole desselben Dinges – die Ausdrücke sind relativ. So ist es auch mit „Ost“ und „West“ – reist in östlicher Richtung rund um die Erde und ihr werdet einen Punkt erreichen, der an eurem Ausgangspunkt Westen heißt, und ihr kehrt von diesem westlichen Punkt zurück. Wenn ihr weit genug gegen Norden reist, werdet ihr euch auf einmal gegen Süden reisend finden, oder umgekehrt. Licht und Dunkelheit sind Pole desselben Dinges, mit vielen Zwischengraden. Die Tonleiter ist dasselbe; von C ausgehend, steigt man immer höher, bis man ein anderes C erreicht und so fort, die Unterschiede zwischen den beiden Enden sind dasselbe, mit vielen Graden zwischen den beiden Extremen. Die Farbenskala ist dasselbe – höhere und niedere Schwingungen sind der einzige Unterschied zwischen hohem Violett und tiefem Rot. Groß und Klein sind relative Begriffe, desgleichen Lärm und Ruhe; hart und weich folgen derselben Regel, ebenso scharf und stumpf. Positiv und negativ sind zwei Pole desselben Dinges mit vielen Zwischengraden.
Gut und Böse sind nicht absolut – wir nennen das eine Ende der Skala gut und das andere böse, oder ein Ende das Gute und das andere Ende das Übel, je nach der Anwendung der Ausdrücke. Ein Ding ist „weniger gut“ als das Ding, das auf der Skala höher steht. Dieses „weniger gute Ding“ aber ist wieder „besser“ als das Ding, das zunächst unter ihm steht – und so weiter, das „Mehr oder Weniger“ wird von der Stellung auf der Skala reguliert.
So ist es auch auf der mentalen Ebene. „Liebe und Hass“ werden gewöhnlich als diametrale Gegensätze angesehen, als vollkommen verschieden, unvereinbar. Wenn wir aber das Prinzip der Polarität anwenden, so finden wir, dass es keine absolute Liebe und keinen absoluten Hass, als voneinander unterschieden gibt.
Hass und Liebe sind nur die Ausdrücke, die für die beiden Pole desselben Dinges gebraucht werden. Wenn wir auf irgendeinem Punkt der Skala beginnen, finden wir „mehr Liebe“ oder „weniger Hass“, wenn wir die Skala aufwärts steigen; und „mehr Hass“ und „weniger Liebe“, wenn wir die Skala abwärts steigen, und dies ist so, ganz gleich, ob wir von einem hohen oder einem niederen Punkt ausgehen.
Es gibt Grade von Hass und Liebe, und es gibt einen mittleren Punkt, an dem Zuneigung und Abneigung so schwach werden, dass es schwer ist, zwischen den beiden zu unterscheiden. Mut und Furcht fallen unter dieselbe Regel. Die zwei Gegensätze existieren überall. Wo ihr ein Ding findet, da findet ihr auch seinen Gegensatz, – die beiden Pole.
Und diese Tatsache ist es, die den Hermetiker befähigt, einen mentalen Zustand in einen anderen zu transmutieren, nach den Richtlinien der Polarisation. Dinge, die verschiedenen Klassen angehören, können nicht ineinander transmutiert werden, aber Dinge derselben Klasse können vertauscht werden, das heißt, sie können ihre Polarität ändern. So wird aus Liebe niemals Osten oder Westen, oder Rot oder Violett – sie kann sich aber in Hass verwandeln – und sie tut es oft -, gleicherweise kann Hass durch Veränderung der Polarität in Liebe umgewandelt werden. Mut kann sich in Furcht transmutieren und umgekehrt. Harte Dinge können weich gemacht werden, stumpfe Dinge werden scharf, heiße Dinge werden kalt. Und so weiter.
Die Transmutation findet immer nur zwischen den Dingen derselben Art und verschiedenen Graden statt. Nehmen wir den Fall eines furchtsamen Menschen. Wenn er seine mentalen Schwingungen in der Richtung Furcht – Mut erhebt, kann er vom höchsten Grade von Mut und Furchtlosigkeit erfüllt werden. Gleicherweise kann ein träger Mensch sich in ein tätiges, energisches Individuum verwandeln, einfach durch Polarisation in der Richtung der erwünschten Eigenschaft.
Der Schüler, welcher mit den Prozessen vertraut ist, durch welche die verschiedenen Schulen mentaler Wissenschaft usw. die Veränderungen der mentalen Zustände jener hervorbringen, die ihren Lehren folgen, wird nicht sogleich das Prinzip verstehen, das vielen dieser Veränderungen zugrunde liegt.
Wenn jedoch das Prinzip der Polarität einmal erfasst wurde und man gesehen hat, dass mentale Veränderungen von einer Veränderung der Polarität verursacht werden – einem Gleiten entlang derselben Skala – dann ist dies alles leichter zu verstehen. Die Veränderung besteht nicht in der Transmutation eines Dinges in ein anderes, von diesem vollkommen verschiedenen Ding – sie ist nur eine Änderung des Grades von gleichen Dingen, ein sehr wichtiger Unterschied. Um ein Beispiel aus der physischen Ebene zu geben: es ist unmöglich, Hitze in Schärfe umzuwandeln oder in Lärm, in Höhe usw.; Hitze aber kann leicht in Kälte umgewandelt werden, einfach durch Herabsetzen der Schwingungen. Auf diese gleiche Weise sind Hass und Liebe gegenseitig wandelbar, auch Furcht und Mut. Aber Furcht kann nicht in Liebe verwandelt werden, noch kann Mut in Hass transmutiert werden. Die mentalen Zustände gehören zahllosen Klassen an, jede dieser Klassen hat ihre entgegengesetzten Pole, zwischen denen Transmutation möglich ist.
Der Schüler wird ohne Schwierigkeit erkennen, dass in den mentalen Zuständen ebenso wohl wie bei den Phänomenen der physischen Ebene die beiden Pole als positiv beziehungsweise negativ bezeichnet werden können. So ist Liebe positiv zum Hass; Mut zur Furcht; Tätigkeit zur Untätigkeit usw. usw. Bemerkt sei noch, dass sogar jenen, die mit dem Prinzip der Schwingung nicht vertraut sind, der positive Pol von höherem Grade erscheint als der negative, und dass der positive Pol den negativen beherrscht. Die Tendenz der Natur geht nach der dominierenden Aktivität des positiven Poles.
Die Phänomene mentaler Beeinflussung, in ihren mannigfaltigen Phasen, zeigen uns, dass man durch die Anwendung der Polarisationskunst nicht nur die Pole seiner eigenen mentalen Zustände verändern kann. Das Prinzip erstreckt sich auch auf jene Phänomene, in denen ein Geist den Geist anderer beeinflusst. In den letzten Jahren wurde über diesen Gegenstand viel geschrieben und gelehrt. Wenn man verstanden hat, dass mentale Induktion möglich ist, d. h. dass mentale Zustände durch Induktion anderer hervorgerufen werden können, kann man ohne Schwierigkeit einsehen, dass ein gewisses Schwingungsmaß, oder die Polarisation eines gewissen mentalen Zustandes einer anderen Person mitgeteilt und deren Polarität in dieser Klasse mentaler Zustände verändert werden kann. Nach diesem Prinzip können die Resultate vieler „mentaler Behandlungsarten“ erzielt werden, z. B. eine Person ist melancholisch und voll Furcht. Ein mentaler Wissenschaftler bringt nun vermöge seines geübten Willens sein eigener Geist auf die gewünschte Schwingung und erreicht so für sich selbst die erwünschte Polarisation. Dann ruft er durch Induktion einen ähnlichen mentalen Zustand bei der anderen Person hervor. Das Resultat ist dass die Schwingungen gehoben werden und die Person gegen das positive Ende der Skala statt gegen das negative polarisiert wird; ihre Furcht und andere negative Gefühle wurden in Mut und ähnliche positive mentale Zustände transmutiert. Ein wenig Nachdenken wird zeigen, dass nahezu alle mentalen Veränderungen Polarisationsänderungen sind, und dass häufiger der Grad als die Gattung geändert wird.
Das Wissen von der Existenz dieses großen hermetischen Prinzips wird den Schüler befähigen, seine eigenen mentalen Zustände, wie auch die anderer Leute, besser zu verstehen. Der Schüler wird sehen, dass alle diese Zustände vom Grade abhängen, und wird dadurch fähig, die Schwingungen willkürlich zu erhöhen oder zu erniedrigen, seine mentalen Pole zu ändern; und so wird er Meister seiner mentalen Zustände, statt deren Diener und Sklave zu sein. Durch sein Wissen kann er seinen Mitmenschen weise helfen, und durch Anwendung geeigneter Methoden die Polarität ändern, wenn es wünschenswert ist. Wir raten allen Schülern, sich mit dem Prinzip der Polarität vertraut zu machen, weil ein korrektes Verstehen desselben Licht auf viele Schwierigkeiten werfen wird.
– Die drei Eingeweihten
Wie in vorigen Sendungen angesprochen gelten alle Hermetischen Prinzipien gleichzeitig. Darüber hinaus stehen sie in Wechselwirkung.
Die Polarität der Korrespondenz besteht z.B. im Skalieren des Maßstabs klein → groß. John Baines erläutert weitere Teile des Beziehungsgeflechts:
Die Einheit als solche gibt es im Universum nicht, denn alles ist dual; … es ist die Polarität, die den Rhythmus des Lebens aufrechterhält. Gäbe es keine Gegenpole, wäre Leben nicht möglich. Das Wesentliche bei der Untersuchung der Polarität ist die Tatsache, dass Gegensätze immer im selben Element vorhanden sind.
Das Prinzip der Polarität funktioniert entlang einer Schwingungsskala von Graden, in denen sich eine Stärke manifestiert, eine Abstufung, die vom Positiven zum Negativen geht. …
Der Grundzustand ist also das Sein – im Gegensatz zur südasiatischen Vorstellung, dass die Matrix des Seins in Leere besteht und diese füllt. Das ALL ist. Das ist eines seiner wesentlichen Merkmale.
Allerdings existiert das Universum nur im Geist des ALLs, und nur dort kann es eine Reduzierung oder gar Abwesenheit des Lichts geben: durch Schattenbildung. Die Sonne scheint auch nachts. Unsere Nacht ist nur der Schatten des Sonnenscheins. Das Böse ist der Schatten bzw. die Abwesenheit des Guten, und je umfangreicher die Abwesenheit desto größer und tiefer der Schatten.
Geist und Materie sind ein und dasselbe, aber sie manifestieren sich in entgegengesetzten Schwingungen. Dasselbe gilt für Leben und Tod und Gut und Böse … in diesen Begriffen gibt es kein Absolutes, so wie niemand sagen kann, was absolute Kälte oder Hitze ist (167)
Erneut: Das ALL ist GEIST, das Universum ist ein geistiges Konstrukt. Hierin ist alles wandelbar, relativ, vergänglich, illusionär. Wir müssen jedoch in unserem Handeln davon ausgehen, dass dem Illusionären Bedeutung zukommt, denn für uns als darin enthaltene Wesen ist das Sein wirklich. Zwei illusionäre Autos können zusammenstoßen. Daher:
Alle Wahrheit ist Halbwahrheit, und es ist nur möglich, die absolute Wahrheit zu erreichen, indem man sich über das Prinzip der Polarität erhebt, über die Gegensätze hinaus, umdie Welt der Ursachen zu erreichen. (168) Aufgrund der Polarität ziehen sich Mann und Frau an und versuchen zu verschmelzen. Dies ist das Gesetz der ewigen Schlange [Uroboros], die sich ständig in den eigenen Schwanz beißt. Es ist sehr interessant, den Aphorismus zu analysieren, dass „Extreme aufeinander treffen„. Wenn wir dies zum Beispiel auf die Liebe anwenden, können wir feststellen, dass es leichter ist, Hass in Liebe zu verwandeln als Gleichgültigkeit in Liebe. Da sich die Gegensätze treffen, ist die Entfernung von einem Extrem zum anderen kürzer als von der Mitte der Skala zu einem extremen Pol. (169) … wir können sagen, dass die kürzeste Entfernung von einem Punkt zum anderen nicht eine gerade Linie ist, sondern ein Kreis…. [die Mitte] ist das Symbol der ewigen Unentschlossenheit und Apathie und steht für die Halbherzigen, die keinen Platz im Reich Gottes haben … Unentschlossenheit ist fataler als Irrtum … (170)
— John Baines, The Stellar Man
D.h. wer Fehler macht, kann aus ihnen lernen. Wer nicht handelt, bewegt sich nicht zum Guten, sondern überlässt das Feld externen Kräften und bleibt ein Spielball.
Literatur:
- Das Kybalion / Die drei Eingeweihten
- Das Corpus Hermeticum, einschl. d. Fragmente d. Stobaeus / a.d.Griech.v. Karl-Gottfried Eckart
- The Stellar Man / John Baines