Episode 53: Die Schuldfrage

Als ich in Sendung 48 über die Irrungen des New Age zu sprechen anfing, stürzten die Zuschauerzahlen um ein Drittel ab. Diese Ideologie bzw. Religion kommt dem Verlangen nach Harmonie sehr entgegen, daher ist die Empörung fast schon verständlich, aber ich finde es bezeichnend, dass ich nur bei einem einzigen anderen Thema negative Reaktionen erfahre: wenn ich über Gott rede und sogenannte Christen sich angesprochen fühlen können. Andere Religionsgemeinschaften scheinen damit weniger Schwierigkeiten zu haben…

Tatsächlich braucht es Harmonie, um im Einklang mit der Wirklichkeit handeln zu können, aber New-Ager möchten diese Harmonie von der Wirklichkeit abgekoppelt herstellen, und häufig lediglich im Geiste.

Ich spreche übrigens aus persönlicher Erfahrung mit einer großen Community, die es mit ihren halb-wahren Vorstellungen geschafft hat, Teilhabern einer anderen Vision das spirituelle Fundament zu nehmen, auf dem sie hätten stehen können.

Ich gebe zu, dass es den New-Ager so nicht gibt, da hinter dem Wort eine 200-jährige Ideengeschichte steckt und auch die Anhänger des sog. „Zeitalters des Wassermanns“ keinen einheitlichen Block bilden. Manche der Vorstellungen widersprechen sich, etwa die Verneinung von Negativität der Ablehnung des Eigentumsgedankens.

Wenn ich vom New Age spreche, meine ich die de-facto-religiöse Auffassung, dass durch die reine Macht der Gedanken, ergänzt höchstens durch Rituale, „das Gute“, quasi ein neues goldenes Zeitalter herbeigeführt werden könnte, ohne dass dies menschliches Handeln erfordere.

Auch wenn die Bezeichnung heutzutage eher selten benutzt wird, bin ich nicht der Überzeugung, dass die Bewegung ihr Ende gefunden hat. Im Gegenteil: Ihre Haltung hat sich in breiten Teilen der Bevölkerung verstetigt und lebt speziell in „spirituellen“ Kreisen ungeschmälert fort, wie ich selbst erleben durfte.

Meine ursprüngliche Aufnahme bestand aus elf New-Age-Vorstellungen, die ich erläuterte und richtig stellte. Bei erneutem Sehen erschien mir die Sendung ein wenig langatmig. Da ich sie wegen der mangelnden Ton- und Bildqualität eh frisch aufnehmen möchte, ändere ich nun das Konzept. Wir nehmen uns für heute nur die Hälfte dieser Vorstellungen vor. In späteren Sendungen – bei ähnlich passender Gelegenheit wie heute – werden wir weitere untersuchen.

Für das erste Thema – dass es kein Richtig und Falsch, Gut und Böse gäbe, sondern nur Spirit – lieferte mir gerade gestern der von mir sehr geschätzte Philosoph Charles Eisenstein die perfekte Vorlage. Eisenstein gilt dem Mainstream seit seiner Aufsatzserie „Die Krönung“, die auch als Buch erschienen ist, als „New-Age-Verschwörungstheoretiker“. Tatsächlich betrachtet er die sich verstärkenden und vermehrenden Turbulenzen unserer Zeit als die Geburtswehen eines neuen Zeitalters (s. „Die Renaissance der Menschheit“), doch unterscheidet er sich wegen seiner differenzierten Argumentation grundlegend von gängigen New-Age-Stereotypen.

In seinem neuesten Rundbrief schrieb er:

Der beste Trick, den der Teufel je angewandt hat, war, die Welt davon zu überzeugen, dass er nicht existiert […] Es gibt jedoch ein entgegengesetztes und ebenso wahres Prinzip, das ein viel wichtigerer Wegweiser durch unsere gegenwärtige Zivilisationskrise ist: Der beste Trick, den der Teufel je angewandt hat, war, die Welt davon zu überzeugen, dass er TATSÄCHLICH existiert. Dieser Trick führt die Welt in eine Hölle, der wir nicht entkommen können, bis wir sie durchschauen.

Und so funktioniert es: Der Teufel ist die Quelle des Bösen in der Welt. Böse Taten kommen von bösen Menschen. Wenn also Böses geschieht, sollten wir die bösen Menschen finden, die dafür verantwortlich sind. Lasst uns diese bösen Menschen vernichten, damit das Gute siegt und das Böse aufhört, unsere Welt zu verunstalten.

Entweder erschafft „der Teufel“ das Böse oder es sind Menschen. Wenn es „der Teufel“ ist, dann wäre die logische Antwort, diese Quelle des Bösen abzustellen, worin auch immer diese besteht. Wie gesagt, ich betrachte den „Teufel“ als allegorische Figur, die eine dem Wahren, Schönen, Guten entgegen gerichtet ist.

Eisenstein schreibt weiter:

Wer sind die bösen Menschen? Die Iraner! Die Israelis! Konzernmanager! Die Antifa-Leute! Die MAGA-Extremisten. Die Gates-Stiftung. Das Weltwirtschaftsforum. Russland. China. Das Militär. Die CIA. Die Linken, die Rechten, die Einwanderer.

Nachdem er die Welt davon überzeugt hat, dass es ihn gibt, sieht der Teufel zufrieden zu, wie man alle Leute mit ihm verwechselt, der andere Interessen oder Meinungen haben.

Das soll nicht heißen, dass die oben genannten Menschen nie böse Taten begehen. Aber diese Taten automatisch ihrem angeborenen Bösen zuzuschreiben, bedeutet, den Teufel zu erschaffen, wo es ihn sonst nicht gibt. Einmal zum Leben erweckt, erfüllt der dämonisierte Andere nicht selten unsere schlimmsten Erwartungen.

— Charles Eisenstein, An Us that requires no Them, 2024-08-09

Der Fehler des von Charles zurecht bedauerten Urteils über Andere besteht darin, individuelle Menschen mit den Gruppen zu identifizieren, denen sie angehören bzw. denen wir sie zuschreiben, etwa Nationalitäten. Hieraus leitet sich eine weitere Fehlauffassung ab: Wenn das Böse ein Merkmal einer ethnischen oder nationalen Gruppe ist, muss es wohl angeboren sein. Wenn genügend Menschen diese Fehlauffassungen glauben, finden sie ihren Weg in die Politik.

Packmentalität hat jedoch keinen Platz in der Objektiven Moralität. Alle Rechte wie auch alle Verantwortlichkeit für Taten liegen stets beim Individuum. Das Individuum ist dank Gewissen, Empathie, Gefühl und Verstand mit der Fähigkeit ausgestattet, Richtig von Falsch zu unterscheiden. Es ist außerdem mit der Freiheit ausgestattet, eine Wahl zwischen den beiden zu treffen. Das gilt für alle, die körperlich und geistig gesund geboren werden.

Richtiges befindet sich in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, den Naturgesetzen; das nennen wir gut. Unrichtiges, Falsches verstößt gegen Naturgesetze, denn es erzeugt Schaden; wir nennen es schlecht bzw. bei Vorsatz oder Gleichgültigkeit böse. Diese Erkenntnis berechtigt allerdings nicht dazu, sich über andere zu erheben.

So schreibt Eisenstein schreibt weiter:

Jedes Land und jedes Individuum, das von seiner moralischen oder rassischen Überlegenheit überzeugt ist, sieht sich berechtigt, jedes Mittel einzusetzen, um seine hochtrabenden Ziele zu erreichen: Tyrannei im Dienste der Freiheit, Unterdrückung im Dienste der Demokratie, Krieg im Dienste des Friedens, Grausamkeit im Dienste der Menschenrechte. Da die Nation den Teufel überall sieht, nur nicht in ihrem Inneren, wird sie zum Teufel in ihrem Inneren. Ihre schlimmsten Impulse, befreit vom Zwang der Selbstzweifel, treten an die Oberfläche, um in der Welt Unheil zu stiften.

Das Gute kann nicht erzwungen werden, indem die Rechte Anderer verletzt werden. Und das summarische Abstrafen von Gruppen jedweder Art, weil einige ihrer Mitglieder – tatsächlich oder vemeintlich – gegen das arrogant vereinnahmte Gute verstoßen, ist definitv Rechtsverletzend.

Wenn Böses geschieht d.h. vorsätzlich oder gleichgültig Schaden angerichtet wird, hat keine Gruppe sondern JEMAND es getan, aber das macht den- bzw. diejenigen Individuen nicht zum personifizierten Teufel, sondern einfach zu demjenigen, der gegen sein Gewissen, gute Sitten und Mitgefühl gehandelt hat. Es ist die Tat, die besser unterlassen bleibt, die wir ins Auge fassen müssen, und der Maßstab müssen universelle Prinzipien sein, nicht persönliche, kulturelle oder sonstige veränderliche Präferenzen. Die Aufgabe besteht darin, Menschen davon zu unterrichten, wie sie Schädigung von anderen vermeiden können bzw. ihnen zu helfen, zugefügte Schäden zur Kenntnis zu nehmen. Stigmatisierung, da hat Eisenstein recht, lenkt von den wahren Ursachen des Geschehens ab. Er würde es wohl nicht in meinen Worten ausdrücken, aber ich sehe hier durchaus große Schnittmengen mit seiner Philosophie.

New Age Nonsens

Wir wissen, wenn wir anderen schaden, und wir wissen, wie wir schädliche Handlungen unterlassen können. Die Verwischung des Unterschieds zwischen Recht und Unrecht erlaubt es den Tätern, ihr schädliches Handeln fortzusetzen, ohne dass sich jemals eine Hand erhebt, die ihn aktiv daran hindert (Notwehr), und ohne, dass sich jemals einer traut, die Tatsache des angerichteten Schadens zur Sprache zu bringen („Negativität“).

Und wie oft hören wir: Niemand ist schuld. Beide Seiten befinden sich gleichermaßen im Konflikt. Alle handeln aus einem Bedürfnis heraus. Alle wollen nur das Beste. In jedem steckt ein Täter. Wir projizieren nur unsere eigene Neigungen auf andere.

  • Man mag das Beste wollen, aber wenn man den Willen der Betroffenen dabei nicht respektiert oder wenn es an Kompetenz mangelt, verursacht man Schaden.
  • Wenn man seine eigenen Bedürfnisse über die anderer stellt, handelt man egoistisch und damit objektiv unmoralisch.
  • Auch wenn wir Menschen uns in vielem ähnlich sind, der Wille zum (guten oder schlechten) Handeln unterscheidet uns, wie wir besonders in den Corona-Jahren gesehen haben. Das macht aus den einen Täter und aus den anderen Opfer. Der eine tut etwas und dem anderen wird etwas angetan. Wohl ist es wahr, dass der Täter sich selbst auf eine ganz besondere Weise schädigt. Doch das Opfer dem Täter gleichzustellen ist zutiefst ungerecht.
  • Die Übergriffe müssen gestoppt, Wahrheit gesprochen und Schaden behoben werden, damit Vergebung Sinn erhält, ansonsten macht sich das Opfer zum Unterstützter des Täters, denn nur die Einsicht des Täters kann künftige Schäden gleicher Art verhindern.
  • Wenn der Täter dem Geschädigten Gehör leiht und Verständnis beweist (Wahrheit zugibt, bereit ist Schaden zu beheben), kann letzterer leichter vergeben. Danach sollte die Schuld tatsächlich ruhen, also nicht mehr vorgehalten werden, damit sozialer Friede wieder einkehrt.

Literatur:

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