Episode 67: Autorität & Konformität

Was ist Autorität?

Duden: Autorität

  1. auf Leistung, Tradition oder Ausstrahlung beruhender Einfluss einer Person oder Institution und daraus erwachsendes Ansehen
  2. Persönlichkeit mit maßgeblichem Einfluss und hohem [fachlichem] Ansehen

Wiktionary: Autorität

  1. maßgebender Einfluss, Geltung, Ansehen
  2. Person oder Institution, die [1] innehat
  3. von lat.: auctoritas = Ansehen, Gewicht, Willenserklärung, von auctor = Urheber, Lehrer, auch Vorbild oder Gründer

Brockhaus: Autorität = Ansehen, Würde, Machtbefugnis e. Person o. Institution

(1) soziale Position, die durch die anerkannte Geltung einer Person oder Gruppe gegenüber einer anderen gekennzeichnet ist, welche die Normen einer Gruppe in besonderem Maße repräsentiert und meist auch auf ihre Einhaltung Einfluß ausübt. Durch den damit verbundenen bestimmenden Einfluß stellt die A. eine Unterform der Macht dar; hinsichtlich des für die A. wesentl. Momentes der Zustimmung und Anerkennung der A. durch die ihr unterstellten Individuen ist sie von der Macht unterschieden. Nach Ursprung, Art und Legitimation der A. wird bes. unterschieden zw. primärer oder natürlicher (auch persönlicher) A., die in der besonderen Begabung, dem Wissen und Sachverstand, in der Erfahrung oder in Führungsquaütäten des Inhabers gründet und deren Anerkennung (meist innerhalb kleinerer Gruppen) sich innerhalb dieser Grenzen bewegt, und der sekundären oder abstrakten A., die im Rahmen von Institutionen erteilt wird (Amts-A.). Letztere besteht unabhängig von den persönl. Eigenschaften ihres Trägers in der zur Erfüllung eines sozialen Dienstes gegebenen Rechtsbefugnis.

Robert Paul Wolff (1933-), US-amerikanischer Politphilosoph, fasst das folgendermaßen zusammen [meine Übersetzung a.d.Engl.Orig.]:

Autorität ist das Recht, zu befehlen, und dementsprechend der Anspruch, dass man ihr gehorcht. Sie ist zu unterscheiden von Macht, d. h. der Fähigkeit, durch Anwendung oder Androhung von Gewalt Gehorsam zu erzwingen. (4)

Autorität zu beanspruchen heißt, das Recht zu beanspruchen, dass man ihr gehorcht. Autorität zu haben bedeutet also – was? Es kann bedeuten, dieses Recht zu haben, oder es kann bedeuten, dass der eigene Anspruch von denen, an die er gerichtet ist, anerkannt und akzeptiert wird. (5)

– Robert Paul Wolff: Eine Verteidigung des Anarchismus (1970)

Der US-amerikanische Naturrechtslehrer Mark Passio geht mit dem Autoritätsglauben hart ins Gericht. Er nennt ihn – neben Geld, New Age, Szientismus und institutionellem Theismus – als eine der fünf großen Quasi-Religionen unserer Zeit:

Der (falsche) Glaube an die Autorität basiert auf der Illusion und dem Irrglauben, dass die einen Herren sind, die willkürliche Diktate erlassen können, welche nicht auf Moral beruhen und mit Gewalt durchgesetzt werden, während die anderen Sklaven sind, die die „moralische Verpflichtung“ haben, den willkürlichen Diktaten der Herren zu gehorchen… Dieser Weg führt zu allen möglichen Formen des Bösen und der Vernichtung. Sie führt letztlich zu Massengräbern – was sich historisch immer und immer wieder bestätigt hat. – Mark Passio: Morality & Disclosure

Religionen bestehen nicht in Wissen, sondern im Glauben. Glaube ist jedoch nicht Wissen. Religionen bezeichnet er folglich als das, was uns davon abhält, die Wirklichkeit zu sehen und das Richtige zu tun.

Man nicht die Wirklichkeit für den Glauben eintauschen und gleichzeitig ein guter, ethisch-moralischer Mensch sein, der seinem Gewissen folgt. Entweder kennt man objektiv den Unterschied zwischen Richtig und Falsch und verhält sich entsprechend – oder man kennt ihn nicht. Wer den objektiven Unterschied zwischen Richtig und Falsch nicht kennt oder ihn leugnet, weil sein Glaube an Autorität, Staat, Geld, Wissenschaft, New Age, kirchliches Dogma etc. stärker ist, ist verdammt dazu, unmoralisch zu handeln und dabei die Rechte Anderer zu verletzen, d.h. Schaden anzurichten.

Was ist offiziell?

Der Hauptgrund, weshalb Menschen nach Autoritäten rufen, besteht in der Hoffnung, dass diese Autoritäten etwas tun, von dem man weiß, dass man selbst kein Recht darauf hätte, weil es falsch wäre. Um das Richtige zu tun, braucht man keine offizielle Stellung.

Wiktionary: offiziell

  1. von einer dazu befugten Person oder Stelle ausgehend
  2. in öffentlichem, oftmals formalem und feierlichem Rahmen
  3. den Sachverhalt betreffend, der als Fassade bekanntgegeben ist

Duden: offiziell = in amtlichem Auftrag; dienstlich

Brockhaus: offizial… (lat.: officialis = zum Amt oder Dienst gehörig)

Brockhaus: Offiziell = Amt, Führung, Autorität betreffend

Brockhaus: Offizier: militärischer Führer. [Im Englischen officer = Amtsperson]

Was ist ein amtlich?

Duden: Ein Amt ist offizielle Stellung (in Staat, Gemeinde, Kirche u. Ä.), die mit bestimmten Pflichten verbunden ist. Amtlich = von einem Amt ausgehend.

Amt kommt vom lat. ambactus, einem Wort, das die Römer aus dem Gallischen entlehnt haben und auf das indogermanische hmbieheg zurückgeht: herumtreiben, herumführen – wie Vieh.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an meine Sendung über das Grunzgesetz oder Rainer Mausfelds Buch Warum schweigen die Lämmer?

Der Vergleich der Bevölkerung mit Schafen oder Schlachtvieh bzw. des Staates als einer Art menschlicher Viehzucht bzw. des Staatsgebiets als einer Art Viehweide ist also auch linguistisch gar nicht so weit hergeholt.

Autoritätsforschung

Asch-Experiment (1951): Probanden sollten die Längen verschiedener Striche vergleichen. Gemessen wurde ihre Konformität mit Anderen, die vorsätzlich falsche Ergebnisse nannten. 12% zeigten immer Konformität, 62% teilweise. Nur 26% der Teilnehmer des ursprünglichen Experiments ließen sich überhaupt nicht von der Meinung der anderen beeinflussen. In späteren Serien stellte sich heraus, dass mit der Zahl der konformen Teilnehmer auch die Bereitschaft mitzumachen stieg. Das Vorhandensein anderer Außenseiterpositionen hingegen bestärkte bis zu 95% der Teilnehmer, ein unabhängiges Urteil abzugeben. Das heißt, ein harter Kern von 5-12% folgt unabhängig von äußeren Umständen sklavisch der Herde, aber schon die Anwesenheit weniger Anzeichen von Unabhängigkeit oder Widerstand bei Anderen hilft einer großen Zahl von Menschen, aus der Herde auszubrechen.

Milgram-Experiment (1960s): Ein ‚Versuchsleiter‘ im Laborkittel wies den jeweiligen Probanden an, einer anderen Person ‚Stromstöße‘ stetig wachsender Stärke zu verabreichen, wenn diese die Fragen des Versuchsleiters falsch beantworteten. Bei den Befragten handelte es sich um Schauspieler, die den Schmerz nur vortäuschten. Wenn ein Proband zögerte oder sich sogar weigerte, bestand der Versuchsleiter auf seiner Autoritätsposition. Ca. 2/3 der Probanden gaben tödliche Schocks lediglich aufgrund des verbalen Drängens der Autoritätsperson. Wenn der Proband zuvor zwei andere Probanden den Befehl verweigern sah, als der „Lernende“ das Experiment abbrechen wollte, sank die Quote auf 1/5. Sah er zwei Personen den Befehl folgen, stieg die Gehorsamsrate auf 92% !!

Die Welle (1967): Der kalifornische Highschool-Lehrer Ron Jones führte mit drei Klassen von insgesamt 90 Fünfzehnjährigen ein soziales Experiment durch, um die Frage zu klären, wieso die Deutschen nichts von der Judenvernichtung in den KZs gewusst haben wollen. Seine Lektionen bestanden im Drill von Disziplin, von Respekt gegenüber dem Anführer, von Gemeinschaftssinn und Stolz. Er förderte eine starke Ingroup-Outgroup-Dynamik durch die Einführung spezifischer Symbolik, Schwüre und Denunziantentum. Im Verlauf von fünf Tagen entwickelten die Schüler derartigen Enthusiasmus, dass über 100 weitere Jugendliche in die „Dritte Welle“, wie er das nannte, hineingezogen wurden. Die Highschool-Schüler gaben ihre Individualität zugunsten eines Kollektivs auf und benahmen sich wie Faschisten. (verfilmt 1981/2008)

Stanford Prison Experiment (1971): Der amerikanische Psychologe Philip Zimbardo führte mit seinen Studenten eine Feldstudie zur Gefängnispsychologie durch. Die Teilnehmer wurden nach Zufallsprinzip in ‚Wachen‘ und ‚Gefangene‘ unterteilt und letztere eingesperrt. Nach 6 statt 14 Tagen musste er das Experiment auf Drängen von Kollegen abbrechen, weil die ‚Gefangenen‘ von den ‚Wachen‘, denen man gesagt hatte, sie hätten freie Hand, gefoltert und entmenschlicht wurden. Der Experimentator wollte das für die volle Dauer fortsetzen, trotz gegenteiliger Willensäußerung der ‚Gefangenen‘. Später behaupteten mehrere ‚Wachen‘, Zimbardo habe sie zu hartem Verhalten angestachelt, sie aber hätten ihr Verhalten nur gespielt, um seinen Erwartungen zu entsprechen. Doch mitgemacht haben sie, und für die ‚Gefangenen‘ war das durchaus kein Spiel. Ein Drittel der ‚Wachen‘ zeigten deutlich soziopathisches Verhalten.

The Push (2018): Der psychologische Illusionist Derren Brown stellte eine Untersuchung an, ob man Menschen durch sozialen Druck zu einem Mord bewegen kann. Aus über 2000 Kandidaten wählte er 4 Teilnehmer aus. Alle ließen sich wiederholt zu sittenwidrigem Verhalten verleiten, drei von diesen taten auch den extremsten Schritt: einen Mann vom Dach zu stoßen. Bei der Bewerbung hatten sie bereits unsinnige Verhaltensweisen kopiert, nur weil ‚alle‘ diese zeigten.

Literatur:

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