Die vermeintliche Trennung des zivilisierten Menschen von der Natur löst Ängste aus, die ein Verlangen nach Kontrolle erwecken. Die Macht zur Kontrolle hat nur der, der Gewalt ausübt, doch Gewalt traumatisiert alle Beteiligten.
Wir betrachten in der heutigen Sendung Zusammenhänge zwischen Gewalt, Trauma und dem Zustand der Gesellschaft. Wie löst Gewalt Traumata aus und wie mündet Trauma wieder in Gewalt? Ist zivilisiertes Zusammenleben überhaupt ohne Gewalt machbar?
[Nikolaus mit seiner Rute ist traumatisch für Kinder]
Das Rubikon-Gespräch zwischen Florian Kirner, Jens Lehrich, Franz Ruppert und Daniele Ganser aus dem Juni 2018 mit dem Titel „Krieg ist heilbar“ war für mich persönlich ein sehr wichtiger Moment in der Bewusstwerdung: Politik findet nicht losgelöst vom geistig-emotionalen Zustand der Protagonisten statt und der geistig-emotionale Zustand der Bevölkerung hat auch mit Politik zu tun. Franz Ruppert brachte zum Ausdruck, dass er es durchaus für möglich hielte, 90-100% der deutschen Bevölkerung seien mehr oder weniger traumatisiert – nicht zuletzt aufgrund des Nachhalls des zweiten Weltkriegs. Jeder, der in der Zivilisation aufwächst, wird zwangsläufig traumatisiert (sagt auch Gabor Maté), hat aber wenig bis keine etablierten Routinen zur Verfügung, seine Traumata wieder abzubauen.
Das Ziel dieser Sendung ist nun nicht die erschöpfende Darstellung des Zusammenhangs zwischen Trauma und Gewalt. Vielmehr geht es darum, auf psychologische Abläufe aufmerksam zu machen, die Gewalt in repetitiven Kreisläufen verstetigen. Zu dem Zweck stelle ich in aller Kürze die Konzepte „Missbrauchszyklus“, „traumatische Wiederholung“ und „transgenerationales Trauma“ vor. Anhand der gegebenen Informationen und Literaturhinweise möge der Rezipient bitte seine eigene Recherche beginnen.
- Definitionen
- Die Zivilisation ist eine Gemeinschaft von Menschen, deren Weltbild auf vermeintlicher Separation (Getrenntheit) der Individuen von einander, von anderen Menschengruppen, der Natur und dem Göttlichen beruht. (Das gilt auch für östliche Religionen). Separation steht in enger Wechselwirkung mit Furcht. Diese Furcht resultiert in der versuchten Kontrolle der als extern empfundenen Daseinsbedingungen und mündet daher stets in illusionären / ideologischen Weltsichten, Zwang, Diktatur, Gewalt und schließlich vollständiger Zerstörung der Gemeinschaft selbst. Buchstäblich alles wird in den Dienst der Kontrolle gestellt: Wissenschaft, Technik, Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Finanzen, Medizin, Informationswesen, Religion, Unterhaltung, Polizei, Militär…
- Gewalt ist die Initiierung von Rechtsverletzungen gegen Andere. Dabei wird die Selbstbestimmung über sich und ihr Eigentum negiert.
- Ein psychologisches Trauma (griech.: Wunde) entsteht, wenn Menschen schweren Belastungen ausgesetzt sind, die nicht verarbeitet werden können. Dies kann in lang anhaltenden bzw. häufig wiederholten Stresszuständen oder plötzlichen schockhaften Ereignissen begründet sein, aus denen der Traumatisierte keinen Ausweg sieht. Ein Trauma ist eine psychologische Überlebensstrategie, bei der die erlebte Realität ausgeblendet wird. Die Erinnerung an das traumatische Erlebnis wird abgekapselt und führt ein Eigenleben bis hin zur Persönlichkeitsspaltung. Trauer, Wut und Schmerz werden nicht zugelassen. Je jünger das Opfer, desto leichter entstehen diese Traumata.
- Ursachen können u.a. der Abtreibungswunsch der Mutter, unnatürliche Geburtsbedingungen, Streit der Eltern, Vernachlässigung, dauernde Überforderung, verbaler oder körperlicher Missbrauch, Unfälle, Kriege, Katastrophen oder Unterdrückung sein.
- Symptome finden u.a. wir in:
- Mangel an Vertrauen in sich, andere und die Welt;
- zwanghaft wiederkehrende Beschäftigung mit quälenden Bildern in Gedanken und Träumen;
- ständige Furcht, häufig Hilflosigkeit;
- Konflikt-“Lösung“ allein durch Kampf oder Flucht
- Abspaltung von Wahrnehmung und Gefühlen: „das ist nicht mir passiert“; oder Neigung zum schnellen Vergessen und zu Gefühllosigkeit;
- Vermeidung des als unangenehm Empfundenen;
- Psychologisches Trauma kann zahlreiche körperliche und seelische Erkrankungen auslösen.
- [über die Auflösung des Traumas reden wir etwas später.]
- Missbrauchszyklus
- Trauma entsteht und äußert sich u.a. im Missbrauchszyklus, bei dem eine Täter-Opfer-Beziehung Phasen von Missbrauch und Versöhnung durchläuft. Der Begriff wird häufig im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt und emotionalem Missbrauch verwendet. Ein bekanntes Modell, das diesen Zyklus beschreibt, ist das Zyklusmodell von Lenore Walker. Es unterteilt den Verlauf der Beziehung in drei Hauptphasen:
- Spannungsaufbau: Der Täter zeigt zunehmend kontrollierendes oder aggressives Verhalten, was beim Opfer Stress und Angst hervorruft.
- Akuter Missbrauch: In dieser Phase kommt es zum eigentlichen Missbrauch (körperlich, emotional oder psychisch).
- Versöhnungsphase: Nach dem Missbrauch zeigt der Täter Reue, entschuldigt sich oder verspricht, dass es nicht wieder vorkommt, was oft zu einer Phase der emotionalen Versöhnung führt. Dies kann das Opfer dazu bringen, den Missbrauch zu entschuldigen oder zu verharmlosen.
- Dieser Zyklus kann sich wiederholen und verstärken, wodurch das Opfer in einer sehr schwierigen und oft ungesunden Bindung gefangen bleibt.
- Wenn das Opfer und Täter gegenseitige Abhängigkeit bzw. Sympathie für einander entwickeln, spricht man vom Stockholm-Syndrom. Der Begriff ist durchaus umstritten, aber entsprechende Beziehungen kann man z.B. zwischen Firma und Angestelltem oder Staat und Untertan beobachten.
- Eine einseitige emotionale Bindung des Opfers an den Täter nennt man Traumabindung.
- Trauma entsteht und äußert sich u.a. im Missbrauchszyklus, bei dem eine Täter-Opfer-Beziehung Phasen von Missbrauch und Versöhnung durchläuft. Der Begriff wird häufig im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt und emotionalem Missbrauch verwendet. Ein bekanntes Modell, das diesen Zyklus beschreibt, ist das Zyklusmodell von Lenore Walker. Es unterteilt den Verlauf der Beziehung in drei Hauptphasen:
- Traumatische Wiederholung
- Wenn ein jugendliches Opfer bzw. Zeuge von Gewalt sich mit einer der beiden Rollen (Täter oder Opfer) identifiziert und diese Rolle später als Erwachsener auslebt, spricht man von identifizierter Wiederholung oder Wiederholungszwang im Kontext der Traumaforschung.
- Dieses Phänomen kann auch als traumatische Wiederholung oder psychische Wiederholung bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um den unbewussten Prozess, in dem das Opfer eines Traumas in späteren Beziehungen jeglicher Art unbewusst dazu tendiert, die erlebte Opferrolle zu wiederholen oder sich mit der Täterrolle zu identifizieren und diese nachzuahmen. Diese Wiederholung ist oft eine Form von Verarbeitung des Traumas, bei der das Individuum (meist unbewusst) versucht, seine Gefühle zu „bewältigen“ oder zu „kontrollieren“, obwohl es die Erlebnisse nicht wirklich verarbeitet hat.
- Es gibt verschiedene Aspekte dieses Prozesses:
- Identifikation mit der Täterrolle: Ein kindlicher Zeuge bzw. ein Opfer, das sich mit der Täterrolle identifiziert, könnte später in seinem Leben selbst aggressives oder missbräuchliches Verhalten zeigen, ohne es direkt zu wollen, denn es empfindet solches Verhalten als normal. Die Identifikation kann aber auch durch die Erfahrung von Machtlosigkeit oder Ohnmacht entstehen, was in späteren Lebensphasen zu einem unbewussten Drang führt, zum Zwecke des Selbstschutzes selbst Macht auszuüben. Das Verhalten wird grundlegend aggressiv.
- Identifikation mit der Opferrolle: Ein kindlicher Zeuge bzw. ein Opfer könnte sich in seinem Erwachsenenleben gewohnheitsmäßig in die Opferrolle begeben. Hierbei handelt es sich um eine unbewusste Wiederholung des erlebten Traumas, bei der das Individuum die Dynamik des Missbrauchs oder der Ohnmacht nachahmt, ohne es zu beabsichtigen. Das Verhalten wird grundlegend passiv, dh. man lässt sich lieber schaden als selbst Schaden zuzufügen. Notwehr und Nothilfe sind keine Option. Häufig entwickelt sich eine pazifistische Einstellung.
- Diese Wiederholungsdynamik wird von manchen Psychologen als ein Versuch des Individuums beschrieben, das Trauma zu bewältigen. Der Gedanke dahinter ist, dass das Unterbewusstsein versucht, das Unbewältigte „wiederzuerleben“, um es zu „verstehen“ oder zu „beenden“ – was jedoch oft zu einer Verschärfung des Traumas führt, da es nie wirklich verarbeitet wird.
- In beiden Fällen hilft das Opfer bei der Weiterverbreitung von Trauma, denn weder Täter noch Opfer versuchen ernsthaft, die Gewalt zu beenden. Beide vergessen oder ignorieren den Unterschied zwischen Recht und Unrecht.
- In therapeutischen Kontexten wird dieses Verhalten oft durch eine traumafokussierte Therapie bearbeitet, in der das Individuum lernt, das Trauma zu erkennen, zu verarbeiten und bewusstere Entscheidungen über die eigenen Verhaltensmuster zu treffen, anstatt die traumatischen Erlebnisse unbewusst zu wiederholen.
- Um den Kreislauf zu durchbrechen, muss das Trauma bewusst gemacht und geheilt werden. Ein dritter Weg muss gefunden werden, außerhalb der Täter- oder Opferrolle. Hierbei helfen beispielsweise Schatten-Kontemplation, EFT, Mindfulness, oder eine der verschiedenen Traumatherapiemethoden nach Hans-Joachim Maaz, Franz Ruppert, Gabor Maté und anderen. Man muss den Schmerz des erneuten Durchlebens zulassen.
- Spätere Traumata müssen im Live-Betrieb erkannt und integriert werden.
- transgenerationales Trauma
- Hier geht es um generationsübergreifende Wiederkehr des Missbrauchverhaltens. Traumatische Erlebnisse in der Kindheit (zB. Verwahrlosung, Missbrauch) werden nicht nur als Erwachsener selbst ausgelebt, sondern auf diesem Weg in der Psyche der eigenen Kinder verankert, die dann die beschriebene traumatische Wiederholung ihrerseits durchlaufen – usw.
- In der Epigenetik ist man der Überzeugung, dass sich das individuelle Bewusstsein in den Genen ausdrückt und die Täter-Opfer-Dynamik auch auf diesem Wege an spätere Generationen übertragen werden kann.
- Schluss
- Traumata sind eine natürliche Reaktion des Geistes von Mensch und Tier, möglicherweise auch Pflanze, auf psychische Überlastung wie z.B. Unfälle oder Todesfälle. In einer gesunden Gemeinschaft entstehen sie vergleichsweise selten und werden dank der Einbettung in eine liebevolle Umgebung bald wieder aufgelöst.
- Traumata entstehen allein schon durch die Art und Weise, wie zivilisierte Gesellschaften organisiert sind und welches Weltbild in ihnen kursiert.
- Traumata sind den Herrschenden durchaus nützlich. Sie haben daher nicht die Absicht, ihre Entstehung zu verhindern. Hans-Joachim Maaz schreibt:
- Autoritäre Machtformen werden immer gebraucht und gewünscht von frühtraumatisierten Menschen, die nur in Abhängigkeit ihr Leben gestalten können. – Joachim Maaz: Angstgesellschaft
- Traumata werden teilweise vorsätzlich erzeugt, z.B. durch Monarch Mind Control, Terroranschläge, Nachrichten oder Krieg, um breite Zustimmung zum Regierungskurs zu erhalten.
- Wenn wir uns der Entstehung von Traumata und ihrer Präsenz nicht bewusst werden, beherrschen sie unser Handeln massiv. Wir unterdrücken wertvolle Erfahrungen und blenden wesentliche Teile der Wirklichkeit aus. Daher können wir nicht moralisch richtig handeln. Tatsächlich führt diese psychologisch bedingte Blindheit zwangsläufig zur Wiederholung gewaltsamer, traumatisierender Verhaltensweisen und damit letztlich nicht nur zu einem miserablen Dasein der Beteiligten sondern zu einer Verschlechterung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
- Unbewusstes Trauma führt zu traumatischer Wiederholung und transgenerationalem Trauma, und es ist die Grundlage unserer Gesellschaftsordung, ja der gesamten zivilisatorischen Lebensweise. Es handelt sich bei der BRD, der EU, der UNO und der gesamten Zivilisation um selbstverstärkende Gewaltkreisläufe.
- Von diesen als schicksalhaft empfundenen Kreisläufen kann man sich durch Bewusstwerdung befreien: Bewusstwerdung der Falschheit unserer kollektiven Verhaltensweisen, der zugrunde liegenden Furcht, der ihr zugrunde liegenden Weltsicht und der unbewussten, durch Trauma abgespaltenen Persönlichkeitsanteile unser selbst. Mithilfe dieser Erkenntnis der Welt und des eigenen Seins, wie sie sind, kann man sich bewusst für eine wahrheitliche Weltsicht und für liebevollen Umgang mit anderen entscheiden. Hilfreich hierbei sind Schattenarbeit, spirituelle Heilung oder verschiedene psychologische Methoden der Traumatherapie. Dadurch lernen wir, schädliches Denken zu beenden, d.h. wir werden in der Konsequenz auch aufhören, Schaden anzurichten.
- Ohne Aufarbeitung unserer Traumata werden wir weder individuell noch kollektiv frei sein, sondern stets fremdbestimmt denken und handeln. Dabei fügen wir uns und anderen Schaden zu, oft sogar Traumata, und verstetigen dadurch den Gewaltkreislauf.
- Da Zivilisation auf dem furchterregenden Gedanken der Separation beruht und das Objekt der Furcht durch Zwang – d.h. notwendig mit der Drohung und Anwendung von Gewalt – kontrolliert werden soll, und Gewalt wiederum psychologische Traumata auslöst, traumatisierte Menschen jedoch zu willigen Tätern und Opfern werden, die den Missbrauch wiederholen und an nachfolgende Generationen weitergeben, handelt es sich bei der Zivilisation um eine gesellschaftliche Traumatisierungsmaschine. Das Gegenteil von Macht und Kontrolle ist Liebe und Vertrauen. Im Licht dieser Zusammenhänge wäre zu untersuchen, inwiefern Zivilisation sich überhaupt in Abwesenheit von Macht und Kontrolle d.h. unter dem Paradigma der Liebe aufrecht erhalten ließe.
Literatur:
- Angstgesellschaft / Hans-Joachim Maaz. – Frank & Timme, 2022
- Das geheime Leben der Pflanzen (The secret life of plants) / Peter Tompkins. – Fischer, 1977
- Intelligente Zellen: Wie Erfahrungen unsere Gene steuern / Bruce Lipton. – Koha, 2006
- Krieg ist heilbar (mit Franz Ruppert & Daniele Ganser) / Rubikon, 2018
- Die Renaissance der Menschheit: Über die große Krise unserer Zivilisation und die Geburt eines neuen Zeitalters / Charles Eisenstein. – Scorpio, 2012.
- Schöpfer der Wirklichkeit: Der Mensch und sein Gehirn / Joe Dispenza. – Koha, 2007
- Vom Mythos des Normalen: Wie unsere Gesellschaft uns krank macht und traumatisiert. Neue Wege zur Heilung / Gabor Maté. – Kösel, 2023
- Warum schlägst du mich? / Lenore E. Walker. – Piper, 1979/1994
- Wer bin Ich in einer traumatisierten Gesellschaft? / Franz Ruppert. – Klett, 2018
- The secret life of plants