Episode 73: Sinnbilder

Wir befinden uns mitten in einer Serie über das menschliche Bewusstsein. In ep71 haben wir den Zusammenhang zwischen Wissen, Bewusstsein und Spiritualität erkundet. In ep72 machten wir Bewusstsein sicht- und greifbar. Dazu verwendeten wir moderne rationale Methoden wie z.B. das AQAL von Ken Wilber. Anhand dieser kann man Bewusstsein bzw. deren Abwesenheit ermessen. Sie können auch helfen, Entscheidungen, Ereignisse und Handlungen vor- und nachzubereiten und zu bewerten.

Heute schauen wir uns traditionelle Methoden an, mit denen Bewusstsein beurteilt bzw. gefördert werden kann. Diese sind nicht so sehr informationsorientiert wie die modernen Methoden, sondern transportieren Sinn und Bedeutung. Diese werden durch symbolische, also bildhafte Äußerungen vermittelt, die vom Rezipienten interpretiert werden müssen.

Ausdrucksmittel

Symbole: von griech.: symbolon: (Erkennungs-) Zeichen: Gegenstände, Bilder, geometrische Figuren, Farben, Buchstaben, Wörter und Zahlen

Eine Zahl ist ein Symbol für eine Menge, ein Buchstabe für einen Laut, ein Wort für einen Begriff, Farben symbolisieren Identifikation, Geometrien einen mehrgliedrigen Begriff.

Siegel: von lat.: sigillum = kleines Zeichen. Zusammenfassung mehrerer Symbole zu einem neuen Erkennungszeichen.

Metaphern: von griech.: metaphora = Übertragung. Bildhafte Übertragung eines Sachverhalts von einem Zusammenhang auf einen anderen zum Zwecke der Veranschaulichung; z.B. das Sprichwort: Der Krug geht so lang zum Brunnen, bis er bricht.

Allegorien: von griech.: allegoria = auf andere Weise eindringlich sprechen. Ein Gegenstand oder eine Figur, die symbolisch für verwandte oder ähnliche Gegenstände, Prozesse oder Menschen stehen.

Auch als Personifikation: Ecclesia, Concordia, Germania, Marianne, Lady Liberty usw. Diese tragen symbolhafte Gegenstände (Attribute) für das von ihnen Bezeichnete, z.B. trägt die Freiheit die Gesetzestafeln, auf denen das Unabhängigkeitsdatum steht, die Fackel des Fortschritts, die siebenstrahlige Gloriole (Sonne = Erleuchtung; 7 Weltmeere, Kontinente, Intelligenzien) und zu ihren Füßen liegt eine zerbrochene Kette.

Oder die Justitia (s. links) als Sinnbild des Rechtswesens trägt eine Augenbinde als Zeichen ihrer Unvoreingenommenheit sowie das Schwert der Wahrheit und die Waage der Gerechtigkeit. Sie ist damit auch eine Allegorie auf das Trivium der Bewusstwerdung.

Auch die Bildwelt des Tarot ist allegorischer Natur. (s. Gericht, Magier, Hohepriesterin usw)

Gleichnisse: Erzählung, bei der ein Sachverhalt mit einem ähnlichen Sachverhalt verglichen wird, z.B. Neuer Wein in alten Schläuchen (same shit, different day), Gleichnis vom verlorenen Sohn

Parabeln: von griech.: parabole = Vergleich. bildhafte Erzählung, bei der ein Sachverhalt mit einem ganz anderen Sachverhalt verglichen wird; z.B. Parabel vom Magen und den Gliedern.

Gleichnisse und Parabeln sind schwer gegen einander abzugrenzen. Sie haben dieselbe Funktion. Die meisten unserer Sprichwörter fallen in diese Kategorien.

Tracing boards

Ursprüngliche Freimauerergrade entsprechen Lehrling, Geselle und Meister, also dem Fortschritt im Kenntnisstand der Handwerkskünste. Bei der Kenntnis ging es anfangs tatsächlich um handwerkliche, technologische Fähigkeiten. In die Geheimnisse des Maurerhandwerks wurden nur jene eingeweiht, die sich als geeignet und daher würdig erwiesen. Wurde das Wissen einer Stufe vollständig integriert, wurde man zur nächsten zugelassen. Da das Wissen dem Erbauen von steinernen Symbolen der kosmischen Ordnung dienten, drehte es sich in den Logen zunehmend um philosophische Kenntnisse.

Bowring, Josiah; First Degree Tracing Board; The Library and Museum of Freemasonry; http://www.artuk.org/artworks/first-degree-tracing-board-192138

Die Tracingboards sind Schautafeln, Sinnbilder, die in den Versammlungsräumen der Freimaurer ausgestellt werden. Sie zeigen Szenerien, die vollständig aus Symbolen bestehen. Ihr Thema ist die Bewusstwerdung des Menschen im Rahmen der kosmischen Gesetze.

Für jeden Freimaurergrad gibt es eine eigene Tafel, die die Lernziele bildlich definiert. Ein bestimmtes Niveau des Verständnisses sollte erreicht werden, bevor der Aufstieg in den nächsten Freimaurergrad vollzogen wird. Dieses Verständnis wird durch die Kombination aus Lesungen (z.B. Bibel, Mythen), Ritualen, Gesprächen, gelebten Erfahrungen und eben der Deutung von Symbolen und ihrer Anordnung erreicht.

Die Auffassung, dass Symbole beliebig wählbar bzw. auslegbar seien, ist falsch. Genau wie beim Piktogramm, das uns den Zweck einer Einrichtung bzw. den Weg dorthin erklären soll, braucht jedes Symbol mindestens eine klare Kernbedeutung. Erweiterte Bedeutungen ergeben sich durch Assoziation.

So finden wir in der Schautafel ersten Grades die Sonne, das allsehende Auge und den Mond jeweils über einer Säule schwebend. Schauen wir uns diese drei Symbole an und verbinden wir es mit möglichen Bedeutungen und Referenzen:

Allsehedes Auge – Gott – Himmelreich – Wissen – ewiges Glück – vollständiges Bewusstsein – Mittlerer Pfad – Equilibrium – Gusuth (Säule der Milde/des Ausgleichs)

Sonne – Tag – Licht – Christus – Handlung – maskuline Eigenschaften – Kreis – Ab-/Ausstrahlung, Geben – Perfektion – Sol Invictus – Jachin (Säule der Geburt/Gnade/Weisheit/Schönheit).

Der Sonne gegenüber, also in Gegensatz gestellt:

Mond – Nacht – Dunkelheit – Maria/Hl.Geist – Gefühl – feminine Eigenschaften – Kelch – Empfangen – Imagination – Luna – Boas (Säule des Todes/Härte/Stärke)

Indem diese Begriffe assoziativ neben einander stehen, werden sie zu Metaphern für einander. Man verwendet sie austauschbar, um eine moralphilosophische Geschichte zu erzählen, die uns helfen kann, durch Vergleiche und Imagination zu höherem Bewusstsein zu gelangen. Mit Hilfe der auf dem ersten Tracingboard als allegorisches Bild zusammengestellten Symbole können wir einen wohlbekannten Satz aus dem Johannes-Evangelium dekodieren:

Joh 14:5ff Thomas spricht zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Und wie können wir den Weg wissen? 6 Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich. 7 Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen; und von jetzt an erkennt ihr ihn und habt ihn gesehen.

Wo der Vater, also Gott, das ultimative Gute, versinnbildlicht durch das allsehende Auge über der mittleren der drei Säulen, sich aufhält, ist das Himmelreich. Zu ihm kommt man nur – und NUR – durch Jesus, will sagen: indem man den Weg der Wahrheit im Leben einschlägt. Wer das erkannt hat, erfährt, was das „Himmelreich“ eigentlich ist und wie man es erreicht.

Das Zitat geht weiter:

8 Philippus spricht zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns. 9 Jesus spricht zu ihm: So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.

Der Jünger Philippus scheint etwas begriffsstutzig, wie die Mehrzahl der Menschen. Er möchte geführt werden, statt die Wahrheit aus eigener Kraft zu erkennen. Wer jedoch Autoritäten folgen möchte, wird blind für die Wahrheit, und stünde sie direkt vor ihm. Nur wer die Wahrheit selbst sieht, aus freiem Antrieb, erhöht sein Bewusstsein.

Es ging beim Neuen Testament, der Freimaurerei, der Kabbalah, dem Integralen Yoga, den Rosenkreuzern, Laotse, Buddha, Krishna, der Alchemie, der Astrologie und anderen Weisheitslehren anfangs überhaupt nicht um bedingungsloses buchstäbliches Glauben von schriftlich fixierten Dogmen, die man auswendig zu lernen hat. Der Glaube an Dogmen, Autoritäten oder vorgekautes Wissen ist ein Markenzeichen des denkfaulen, begriffstutzigen Möchtegernjüngers. Der Christus will und darf keine Autoritätsfigur sein, sondern er ist lediglich ein anschauliches Beispiel für ein wirksames Prinzip. Und dieses Beispiel muss der Apostel auf dem Weg ins Himmelreich – dh der Mensch auf dem Pfad zum höchsten Bewusstsein – aufs eigene Leben übertragen lernen. Sein Leben, dh sein Handeln, muss allein von Wahrheit bestimmt sein, und diese kann ihm niemand vorgeben – nicht einmal der „Gottessohn“; er muss sie selbst erkennen, selbst zum Christus werden. Das ganze Leben wird dadurch zum Prozess des Erkennens; das ist Bewusstwerdung. Und dieser Weg führt zur Erleuchtung.

Die Szene im Tracingboard des ersten Grades wird auch als Ritual zelebriert. Hierfür spielt die Anordnung der Symbole eine Rolle. Werfen wir einen Blick ins Hauptquartier der United Grand Lodge of England: Wenn der unbewusste Neuling, dessen unordentlicher Geist durch schmuddeliges Aussehen und Augenbinde symbolisiert ist, die hier dargestellte Freimaurerhalle betritt, schreitet er über den schwarz-weiß karierten Boden, der für die Niederungen der materiellen Welt und ihre dualistische Natur steht. So geht er von Westen nach Osten. Er kommt aus dem Dunkel des Abends, der geistigen Umnachtung, dem Maul der Unterwelt, und begibt sich gen Osten zur aufgehenden Sonne, dem Licht des Wissens, der Quelle des Lebens, und erklimmt dann nach diversen Prüfungen die Himmelsleiter, die ihn zum vollen Bewusstsein führt.

Auch Kirchen sind so aufgebaut. Man durchschreitet im Westen ein Portal, das häufig von zwei säulenartigen Türmen flankiert wird, und wandelt gen Osten, ins Licht, zur heiligen Stätte des Altars, wo sich Hostie und Wein in Fleisch und Blut Christi verwandeln. Der Altar steht einige Stufen über dem Niveau, auf dem sich die gewöhnlichen Menschen befinden. Der Altarraum ist üblicherweise der hellste Teil des Kircheninneren.

Die Bilder zeigen die Doppelturmfassade von St.Kastor in Koblenz, die mit BOOZ und IACHIM beschrifteten Säulen aus der alten Vorhalle des Würzburger Doms und den Altarraum der Stadtpfarrkirche in Voitsberg.

Dass Kirchen seit den 1960er Jahren anders gebaut werden (z.B. Altäre in einer Senke stehen oder der Zugang von Norden, Osten oder Süden erfolgt wie in Untermarchtal; hier Blick von Norden nach Süden), hat mit einer Abkehr von der universellen / natürlichen / göttlichen Ordnung zu tun, einer generalstabsmäßig geplanten Satanisierung der Welt, die sich auch in anderen Bereichen wie z.B. der Populärkultur, der Wirtschaft, Politik usw. ausdrückt. Dass heute alles auf dem Kopf steht, einschließlich der Werte und Worte, ist kein Zufall. Wer sich mit Symbolik auskennt, kann an Zahlen, Daten, Bildern und Texten ablesen, wes Geistes Kind hier am Wirken ist, und wie es um das kollektive Bewusstsein bestellt ist. Die Ereignisse des 11. September 2001 beispielsweise sind das okkulte Gegenstück zu Aktionskunst.

Diese Assoziationen und Auslegungen bleiben dicht an der Oberfläche. Man kann bei der Interpretation von Tracingboards und ähnlichen symbolreichen Werken beliebig in die Tiefe und Breite gehen, genau wie im Leben. Je mehr Details man herausarbeitet und je besser man die Symbolik auf Zusammenhänge in sich und um sich herum übertragen kann, desto besser erkennt man die Gesetzmäßigkeiten, die dem Sein zugrundeliegen.

A uch andere symbolbasierte Künste werden von Freimaurern und anderen Esoterikern und Okkultisten benutzt, um die kosmische Ordnung abzubilden, beispielsweise Astrologie (Horoskop), Alchemie (Stein der Weisen), Architektur (Borobudur), Skulptur (Michelangelos Moses), mythologisches Gemälde (William Blake), Drama (Goethes Faust), Erzählung (Animal Farm) und Gedicht (Sri Aurobindos Savitri).

Dreh- und Angelpunkt bei allem bisher Gesagten ist die Fähigkeit des Rezipienten, Muster zu erkennen, dh. Prinzipien, die innen wie außen, im Menschen wie im Universum wirken. Das ermöglicht es ihm, Sachverhalte aus Symbolen herauszulesen und sie durch assoziatives Imaginieren bzw. logisches Denken auf andere Sachverhalte zu übertragen. Die verschiedenen Werkzeuge zur Bewusstmachung – Allegorie, Metapher, Gedicht, Gleichnis, Geometrie, Ritual, usw – sind in sich stimmig, helfen im Abgleich mit einander dem Rezipienten jedoch exponentiell besser bei seinem Prozess des Erkennens. Das Erkennen von Mustern im Menschen bzw. Universum gelingt durch die Entschlüsselung der Muster in symbolischen Darstellungen.

Diese Form der vergleichenden Betrachtung von übertragenem Sinn ist nicht dinglich-informativ, sondern wirklich-signifikant. Sie erlaubt bedeutungszentriertes Lernen. Man erwirbt Kraft seines eigenen Geistes ein Wissen, ein Bewusstsein, das zu richtigem, verständigem, weisem, moralischem Handeln befähigt.

Wie gesagt gibt es neben den Tracingboards der Freimaurer viele weitere Werkzeuge, die hierbei helfen. Wir schauen uns einige in der nächsten Sendung an, namentlich Tarot und Kabbalah.

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