Episode 97: Naturrecht herleiten

Wenn ich hier den Vordenker spiele, während Du Dein eigenes Hirn nicht einschaltest, ist das für den Geist genau so wenig bildend, wie es den Leib ertüchtigt, sich ein Fußballspiel auf der Mattscheibe anzusehen. Das Wahre besteht im präsenten Sein, das Schöne im eigenen Erkennen und das Gute im rechten Handeln.

Das Naturrecht ist die Gesamtheit der universellen, nicht vom Menschen geschaffenen, verbindlichen und unabänderlichen Gesetze, die als regelnde Dynamik die Folgen des Verhaltens von Wesen bestimmen, die in der Lage sind, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.

Das Naturrecht zu verstehen bedeutet, wirklich ein Gewissen zu haben, das den objektiven Unterschied zwischen moralisch richtigem und moralisch falschem Verhalten kennt.

In Harmonie mit dem Naturrecht zu leben bedeutet, dass man sich bewusst für moralisch richtiges Verhalten entscheidet und nicht für moralisch falsches Verhalten, sobald man den Unterschied klar erkannt hat.

Wenn der Mensch im Einklang mit dem Naturgesetz lebt und somit moralisch ist, wird er frei und bleibt es auch. Wenn der Mensch im Gegensatz zum Naturgesetz lebt und daher unmoralisch ist, wird er versklavt und bleibt es auch.

Es gibt nur eine wahre Trennung, die die Menschheit in zwei verschiedene Arten von Individuen trennt. Das Kriterium für diese Trennung ist, ob ein Individuum an „Autorität“ glaubt oder nicht, und daher glaubt, dass Sklaverei legitim ist.

– Mark Passio

Alles was ist (‚die Dinge‘) gehört zur universellen, natürlichen, göttlichen Ordnung. Das Seiende, da es Ursache und Wirkung unterliegt, ist regelgemäß und damit korrekt.

Da alle Menschen mit einem freien Willen und der Fähigkeit zur Unterscheidung von richtigem und falschem Handeln ausgestattet sind (Gewissen), stehen sie rechtlich auf der gleichen Stufe.

Die Unterscheidung zwischen Richtig und Falsch nennen wir Moralität. Rechte Moralität ist die konsequente Befolgung der Natürlichen Gesetze. Falsche Moralität besteht in der Missachtung oder Zuwiderhandlung natürlicher Gesetze.

Falsch ist eine Handlung, wenn der Wille des einen durch den des anderen gebrochen wird. Richtig ist jede Handlung, in der das nicht geschieht, d.h. die verschiedenen Willensäußerungen einander entweder nicht berühren oder nicht beeinträchtigen (der Wille des anderen respektiert wird). Wo kein Opfer, da kein Verbrechen.

Wer den Willen eines anderen bricht, negiert sein eigenes Recht, unbeeinträchtigt zu bleiben. Das ist die Grundlage der Notwehr.

Alle Einwände gegen das Naturrecht führen zu moralischem Relativismus, d.h. Moralität (Recht vs. Unrecht) hängt von variablen Faktoren ab und wird je nach Präferenzen festgelegt.

Und was das bedeutet, hat Lysander Spooner erläutert:

Spooner (e26)

– Recht kann es nur als universelles Gesetz geben, denn: Gibt es Gerechtigkeit als universelles Prinzip, kann es durch Menschen nicht verändert, eingeschränkt, abgeschafft oder übertrumpft werden. Damit sind alle menschliche Regeln entweder redundant, also überflüssig; oder sie sind unwirksam, dh unrecht.

– Ist Gerechtigkeit nicht Teil der natürlichen Ordnung, dann hat menschengemachtes Recht keine objektive Grundlage und besteht in purer Will-kür. Mit anderen Worten braucht sich auch niemand verpflichtet fühlen, ihm zu folgen.

– positives Recht & Regierung sind damit in jedem Fall absurd, willkürlich und eine Anmaßung. Alle Regierungen sind daher Räuberbanden.

Eigentum am Körper (e19)

– Alles, was ich erworben habe, ohne den Willen (die Rechte) eines anderen zu brechen, gehört rechtens mir.

– Ich bekam mein Leben (Geist, Körper) geschenkt. Es gehört rechtens mir.

– ich=Spirit=Eigentümer. Körper ist meinem Willen unterstellt.

– jeder Rechtsbruch ist Willensbruch.

– Jeder Rechtsbruch ist Diebstahl.

– Jeder vorsätzliche Rechtsbruch ist Gewalt.

Selbstwertgefühl: Gefühl, nicht geschädigt werden zu wollen (e12)

– nicht in Ruhe gelassen zu werden

– Wille wird gebrochen

Gewissen: Gefühl, andere nicht schädigen zu wollen (e12)

– unser Bewusstsein ist der Beweis, dass wir einen freien Willen haben. Ohne diesen bräuchte es kein Bewusstsein.

– Bewusstsein und Gewissen enthalten beide die Wortwurzel ‚Wissen‘. Im Englischen lassen sich beide vielsagenderweise auf ‚gemein(sames) Wissen‘ oder ‚gesunder Menschenverstand‘ zurückführen.

– Störung der Fähigkeit, Richtig von Falsch / Gut von Böse zu unterscheiden bzw. dieses Wissen praktisch anzuwenden, bedeutet eine Störung des Seelenfriedens. (Soziopathie/Psychopathie)

Unseren Geist zu verseuchen ist alles, was sie haben. Nur kranke Leute können das tun, und nur andere kranke Leute können das annehmen. Wenn wir uns selbst heilen, haben die Irren keinen Ansatzpunkt. Ihr Weltbild wird haltlos und sie können sich ebenfalls selbst heilen.

Goldene Regel

Fasst Selbstwertgefühl und Gewissen zusammen. Sie ist bei allen Kulturen bekannt und kann daher als universelle Formulierung des Naturrechts und der Objektiven Moralität angesehen werden.

Utilitarismus (e21)

– Richard W. Wetherill: Denke, sprich und tue stets das Rechte. Weigere dich, das Falsche zu tun.

– Recht = Richtig = Korrekt = Zweckdienlich

– nur richtig zu handeln nützt uns

– sich nicht im Recht befinden heißt falsche Ergebnisse erzielen

– Wer das Richtige wählt, vergrößert seine Freiheit, denn er kann die nötigen Ursachen setzen und wird nicht durch negative Konsequenzen eingeschränkt. Liebe zur Wahrheit (zum Seienden) erlaubt rechtes Wissen. Rechtes Wissen erlaubt rechtes Denken, und dieses wiederum rechtes Handeln, was korrekte, nützliche Ergebnisse erlaubt.

Herr des eigenen selbst-bestimmten Lebens zu sein bedarf der rechten Wahl, die ihrerseits rechtes Wissen voraussetzt.

– Wer das Falsche wählt, verliert seine Freiheit aufgrund der verursachten Probleme, die ihn einschränken, und wird fortan nur wieder das Falsche wählen können, solange er den Unterschied von Richtig und Falsch nicht kennt. Er bleibt auf der Ebene der Konsequenzen gefangen. Furcht führt zu einer Einengung der Wahrnehmung, also zu einem Mangel an Wissen oder falsches Wissen führt zu falschem Denken und dieses zu falschem Handeln, was falsche, unerwünschte Ergebnisse nach sich zieht.

Weltbild (e23)

– Separation führt zwangsläufig zu Chaos, Einssein zu Ordnung

Wir sehen hier also, dass Separationsdenken (Atomismus) auf falschem Wissen/Wahrnehmen beruhen muss.

Buddha (e56)

– Beantwortet die Fragen nach dem Leid und seinem Ende praktisch.

– Da ist Leid, denn wir haften fälschlicherweise illusionären, relativen Dingen der Sinneswelt an. Illusionen, also Unwahrheiten, sind die Grundlage für Konflikte, also Leid. Das Leid kann beendet werden, wenn dies verstanden und losgelassen wird. Wenn wir unsere Wahrnehmung ändern, ändern wir unser Denken, und dann ändert sich auch unser Zustand sowie unsere Handlungen. Die Rückkehr zur Wahrheit löst Konflikte auf. Nur wenn man das Richtige tut und das Unrichtige unterlässt, reduziert man das Leid oder beendet es gar.

– Buddhismus ist der empirische Beweis für die Richtigkeit der Naturrechtstheorie.

Christus (e47)

– Die Dreieinigkeit ist ein Symbol für das Trivium aus maskulinem & femininem Prinzip und der aus ihnen hervorgehenden Handlung. (Dreiklang aus: Wissen – Verstehen – Handeln)

– Beim Wissen handelt es sich um das Wissen um Richtig und Falsch.

– Die Kenntnis der Wahrheit macht dich frei. Wer etwas anderes mehr liebt als die Wahrheit, ist der Freiheit nicht würdig.

– Wahres Christentum verlangt nach guten Taten, nicht einfach Glauben.

– Regierung ist Blasphemie, Autoritätshörigkeit ist Sünde.

8 Kommentare

  1. Elke Stofer

    Sehr geehrter Herr Hornschuh,
    ich bin vor 2 Tagen (durch Zufall? / durch den Algorithmus?) auf Ihren youTube-Kanal gestoßen. Herleitung vom Naturrecht.
    Ich bin absolut begeistert. Jetzt weiß ich, was Naturrecht bedeutet. Eines ist mir unklar: Wie sollte eine Gesellschaft nach dem Naturrecht mit Menschen umgehen, die hoch aggressiv sind, oder die Kinder mißbrauchen. Vielleicht könnte man auch argumentieren, daß einzelne Mörder oder Kinderschänder zu vernachlässigen sind. Wenn man dem Ausschwitz oder aktuell den Völkermord in Gaza gegenüber stellt. Oder Krieg. 1 Mio. toter Zivilisten in Irak, die Hälfte davon minderjährig.

    Alles was Sie sagen, ist genau richtig. Ich versuche jetzt, das umfangreiche Material zu sichten. Und möglichst viel von Ihren Beiträgen zu lernen.
    Vielen Dank und viele Grüße
    Elke Stofer

    • Liebe Elke,
      das Wort ‚Naturrecht‘ wurde von Leuten für inhaltlich sehr verschiedene Begriffe benutzt, aber ich meine damit die ungeschriebene natürliche Dynamik, die die Folgen unserer Handlungen regelt. Sie enthält zwei Teile: Die erste Komponente beinhaltet das Recht, in Ruhe gelassen zu werden (Nicht-Angriffs-Prinzip); die zweite Komponente besteht aus dem Notwehrprinzip, das im geschilderten Fall greift. Die von Übergriffen Betroffenen und ihre Gemeinschaft handeln in Harmonie mit den natürlichen Gesetzen, wenn sie den Täter aufhalten bzw. davon abhalten, weitere Rechtsverstöße zu begehen. Eine professionelle ‚Polizei‘ (die eh meist zu spät kommt) braucht es dafür nicht, und bestimmt keine, die das Gewaltmonopol beansprucht. Denn tatsächlich hat staatliche Gewalt in der Weltgeschichte ein Mehrfaches an Leben ausgelöscht im Vergleich zu Bandenkriminalität und Verbrechen aus Habgier oder Leidenschaft. Unabhängig dieser statistischen Unverhältnismäßigkeit müssten wir uns aus moralischen Gründen selbst dann an-archisch (ohne Herrschaft) organisieren, wenn es umgekehrt wäre, denn der staatliche Anspruch auf unsere Körper ist nichts anderes als Sklaverei.

      Ein paar Beispiele, wie natürliche Gemeinschaften mit disruptiven Leuten umgehen, gibt das englischsprachige Video „How indigenous peoples handle narcissism & prevent authoritarianism. A compilation“ https://odysee.com/@Spellbreaker:6/indigenous-tribes-narcissism-protection:2
      Des weiteren gibt es auch positive Erfahrungen mit modernen Methoden der Konfliktbewältigung, die z.T. spirituelle Praktiken einbeziehen. Ein paar Worte über den naturrechtsgemäßen Umgang mit Rechteverletzern habe ich in der Episode 66 (Strafe) verloren.

      Dankesehr für Deine/Ihre Gedanken und Fragen. Ich hoffe, es ist mir gelungen, mit der Naturrechtsphilosophie (auch bekannt als Karmisches Gesetz, Konsequentialismus, Universelles Gesetz usw.) ein Verständnis von wahrer Gerechtigkeit zu ermöglichen.
      Gerne mal wieder schreiben!

  2. Elke Stofer

    Lieber Jürgen,
    ich habe hier zu danken. Für die Antwort und für Episode 66. Man kann durch Strafen Verbrechen nicht verhindern, das habe ich verstanden. Den gesellschaftlichen Grundsatz der Sicherungsverwahrung, Verbrecher davon abzuhalten, weitere Rechtsverstöße zu begehen, würde ich anerkennen. Wenn ich Dich richtig verstehe, sollten diese Aufgabe die Opfer bzw. deren Gemeinschaften leisten. Für mich sind das wertvolle Denkansätze, denen ich weiter nachgehen möchte. Ich bin sehr gespannt auf das englischsprachige Video, da hatte ich noch keine Zeit. Das Englische ist für mich eine intellektuelle Herausforderung, das geht nicht so nebenbei.
    Ganz grundsätzlich denke ich, daß der Mensch nicht die Kompetenz hat, zu richten. Vor dem Strafen kommt das Richten. Es geht ja auch immer schief, die Maßstäbe dafür sind relativ und variabel. So wie Du sagst. Sacco und Vanzetti seien als Beispiel erwähnt. Und sicherlich darf der Mensch gar nicht richten.
    Und ebenfalls ganz grundsätzlich denke ich, daß man als Mensch verzeihen muß. Immer, bis in letzter radikaler Konsequenz. Nur wer verzeihen kann, findet Frieden und kann sich weiter entwickeln.
    Und dafür sind Gemeinschaften unerlässlich, das habe ich jetzt auch verstanden bzw. glaube, verstanden zu haben.
    Und ganz ganz ganz herzlichen Dank für die „Wahlhinweise“, Du sprichst mir aus tiefstem Herzen. Ich wähle seit Corona nicht mehr und bin da die einzige im weiten Umkreis. Deshalb freut mich Dein Statement dazu. Viele Maßnahmenkritiker haben die Coronathematik in der Tiefe nicht verstanden.
    Viele Grüße
    Elke

    • Stimmt, die Betroffenen und alle, die Zeugen naturrechtswidrigen Verhaltens werden, stehen in der Verantwortung, den Täter akut zu stoppen und ihn über Falschheit und Folgen seiner Tat aufzuklären. Solange er keine Einsicht zeigt, ist er seiner eigenen Rechte ledig und kann im Grunde beliebig behandelt werden. Keine gute Situation für alle Beteiligten. Umerziehung kommt zu spät. Eltern müssen verstehen lernen, dass Verbrechen das Ergebnis mangelnder moralischer Erziehung ist.
      Auch das Richten kommt zu spät, und ich stimme Dir völlig zu, dass Menschen dies eigentlich nicht können. Es ist die Aufgabe des Schöpfers als wahrem Gesetzgeber, und deswegen hast Du auch damit recht, dass wir um Verzeihung nicht herumkommen – nachdem die Tat durch Sühne oder Tod vergolten ist. Vor ein paar Jahren wünschte ich mir ein zweites Nürnberg, aber das ist natürlich Quatsch. Jene, die das Glück oder den Mut hatten, nicht zu Tätern zu werden, brauchen die Stärkung ihrer Zivilcourage, und wir alle miteinander brauchen Traumatherapie, wenn der Kreislauf der Gewalt je enden soll.

  3. Elke Stofer

    Lieber Jürgen,
    Ich verstehe nicht ganz, was Du meinst: Verzeihen nach Sühne und Vergeltung. Ich „muß“ verzeihen, auch wenn der Täter nicht bereut, oder Vergeltung leistet. Wenn ich verzeihe, befreie ich mich und kann in der Folge mit mir und meinen Fehlern gnädig umgehen. Und in der Folge Freiheit fühlen. Verzeihen ist alleine meine eigene Tat, die auf meiner Seite geschieht. Wenn ich z.B. meinen Eltern verzeihe, kann ich die Bedrückungen meiner Kindheit hinter mir lassen. Und in der Folge die Not meiner Eltern erkennen. Die ihren Ursprung wiederum in deren Kindheit hat.
    Hannah Arendt hat über den Eichmann-Prozess geschrieben, über die Aussagen, die Eichmann gemacht hat, damit seine Schuld vor den Richtern kleiner aussieht. Hannah Arendt hat seine Not (die Angst vor dem Gerichtsurteil) nicht sehen können, hat seine Aussagen für bare Münze genommen.
    Noch schwerer als anderen zu verzeihen, ist, sich selber zu verzeihen (z.B. Strafen, die man rückblickend über die eigenen Kinder verhängt hat). Auch hier greift Sühne und Vergeltung nicht. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Aber wenn ich es schaffe, mir selber zu verzeihen, kann ich mich selber mitsamt der Fehlerhaftigkeit akzeptieren.
    Vielleicht ist es so: Das Selbst erkennt dann, warum das Ego so und so gehandelt hat. Kann man das so sagen? Ich brüte öfter mal über die Abgrenzung von Selbst und Ego.
    Viele Grüße
    Elke

  4. Liebe Elke.
    Mit Sühne und Vergeltung will man nicht die Uhr zurückdrehen, sondern Gerechtigkeit herstellen. Erst dann kann Verzeihung stattfinden.
    Das Wort Verzeihung stammt von der indoeuropäischen Wurzel ‚deik’= zeigen und der Vorsilbe ‚ver–’= [Negation], bedeutet also „nicht mehr [auf den Schuldigen] zeigen.“ Solange der Täter nicht von seiner Tat Abstand nimmt und versucht, dem Opfer eine Form von Ausgleich anzubieten, verbleibt das Täter-Opfer-System in Ungerechtigkeit und der Täter in einer rechtlosen Stellung außerhalb des Naturrechts verortet, mit der er nicht reintegriert werden kann, ohne die Gemeinschaft moralisch zu korrumpieren. Selbstverständlich – da bin ich ganz bei Dir – kannst Du Dich jederzeit von dem mit der Tat verbundenen emotionalen Ballast befreien, aber das kann nicht bedeuten, dass man den Täter mir-nichts-dir-nichts aus der Verantwortung entlässt. Zu verstehen, weshalb er falsch gehandelt hat, heißt zu verstehen, dass er falsch denkt. Solange er falsch denkt, wird er weiterhin falsch handeln. Der gegenwärtige Zustand der Welt geht zu 50% auf das Konto solcher Nachlässigkeit: weil wir unmoralisch handelnde Leute amok laufen lassen, statt mit dem Finger auf sie zu zeigen. Wer das erkannt hat, steht in der Verantwortung, es ändern zu helfen. Diese (Schatten-) Arbeit kann man auch an sich selbst vollziehen; es ist Teil des „Großen Werks“, von dem die Okkultisten sprechen.
    Wir alle haben in der Kindheit seelische Wunden davongetragen. Niemand kann etwas für seine traumatisierende Programmierung. Das ist jedoch keine Ent-Schuldigung für Unrecht, das man in diesem Zustand begangen hat. Deshalb meinte ich, wir alle miteinander brauchen Traumatherapie, denn die allerwenigsten von uns sind (Re-) integrationsfähig.
    Ich hoffe, Du verstehst, dass ich mit diesen Worten nicht den Stab über anderen breche; ich habe genug vor meiner eigenen Tür zu kehren. Ich versuche die Regelmäßigkeiten aufzuzeigen, nach denen persönliches und gesellschaftliches Wohlergehen — Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit — entsteht. Wir setzen durch unser Handeln Ursachen; die Konsequenzen regelt das universelle Gesetz. Das Karma bleibt bei Unwissenheit, guter Absicht oder üblem Willen dasselbe.
    Es grüßt Dich
    Jürgen

  5. Elke Stofer

    Lieber Jürgen,
    Ich habe das Gefühl, in Deinem Gedankenkonstrukt bzgl. „Verzeihen“ steckt ein Haken:
    Wenn ich jemandem verzeihe, heißt das nicht, daß ich denjenigen aus der Verantwortung entlasse. Das kann ich gar nicht. Der Täter bleibt immer in seiner Verantwortung.
    Wenn mein Verzeihen von der Einsicht und Wiedergutmachung des Täters abhängt, dann bin ich nicht frei.
    Einem Täter zu verzeihen, der ehrlich um Entschuldigung bittet, ist eine einfache Übung. Damit sind keine Lorbeeren zu verdienen.
    Ich habe erfahren dürfen, daß ich die Not des anderen sehen konnte, als ich nicht mehr „mit dem Finger auf ihn zeigte“. Und dann konnte ich fröhlichen Herzens zum Wanderstabe greifen.
    Meiner Auffassung nach ist Gerechtigkeit auf diesem Erdenleben nicht möglich. Und schon gar nicht ist es möglich, daß Menschen für Gerechtigkeit sorgen.
    Wenn ein Täter eine Tat begeht, dann deshalb, weil an ihm selber Taten verübt wurden, und er nicht in der Lage ist, darüber hinwegzukommen. Z.B.: Ein Erwachsener, der als Kind geschlagen wurde, wird immer versuchen, Dominanz zu erreichen, er wird seine eigenen Kinder schlagen. Das hat nichts mit falschem Denken zu tun. Wenn ich meine Kinder nicht geschlagen habe, dann nur aus dem einen Grund, weil ich selber nie geschlagen wurde. Nicht, weil ich richtig denke.
    In meiner Heimatstadt hat es vor kurzem einen Doppelmord gegeben. Ein verlassener Ehemann ist bewaffnet in eine Familienfeier eingedrungen. Er hat seinen kleinen Sohn erschoßen und die Schwester seiner Frau, deren kleine Tochter hat überlebt, hat nun keine Mutter mehr. Und jetzt? Er kann keinen Ausgleich anbieten oder Wiedergutmachung leisten. Wir alle sind Schuldige. Am Ende des Tages wird die arme Ehefrau verzeihen müßen.
    Die Welt würde eine bessere, wenn wir lernten zu verzeihen und nicht immer mit Fingern auf Täter zeigten.
    Viele Grüße und Danke
    Elke

    • Liebe Elke.
      Wie immer freue ich mich über Deine Beiträge. Mit diesem hier rührst Du an ein schwieriges Thema; nicht etwa, weil es sonderlich kompliziert wäre, sondern weil emotionale Verstrickungen die Sicht auf klare Sachverhalte komplizieren können. Das aufzudröseln braucht sehr viel Text. Leichter wäre es wohl, wenn wir hierüber einmal via Jitsi, Teams oder Zoom sprechen könnten.

      Wie gesagt sind wir durchaus frei, uns jederzeit innerlich von der Last des Grolls gegen den Täter zu lösen. Ich finde es nobel und hilfreich und wende das selbst an. In dieser Hinsicht also volle Zustimmung meinerseits. In gleicher Weise sollten wir uns von der Anhaftung lösen, das Verständnis für den Täter, oder dass wir selbst zum Unrecht fähig waren oder noch sind, verhindere, dass wir diesen konkreten Menschen für seine konkrete Tat zur Rechenschaft ziehen können. Selbstverständlich bleiben wir nicht beim Fingerzeigen stehen.
      Aus der Tatsache, dass ich ausschließlich mir selbst zu eigen bin, folgt, dass ich allein für mein Handeln verantwortlich bin. Es gibt keine ent-schuldigenden Umstände für falsches Handeln, sondern nur Ursachen. Und die Ursache für jedes Handeln ist im Denken begründet, und gedacht wird aufgrund von (rationalem, fühlendem und emotionalem) Wissen. Falsches oder fehlendes Wissen führt zu falschem oder unterlassenem Denken, und das wiederum zu falschem (unmoralischem) Verhalten – ein Verhalten, das Schaden initiiert. Traumata sind nicht die eigentliche Ursache der Tat; sie verschlimmern lediglich die Conditio. Hinzu kommt: Sie können überwunden werden.
      Unsere wichtigste Aufgabe im Leben besteht im Erlernen der Prinzipien, augrund derer wir leben, andernfalls werden wir stets Schwierigkeiten haben und scheitern, sowohl bezüglich der natürlichen als auch der sozialen Mitwelt. Richtig leben können wir nur aufgrund richtigen Wissens, und wenn wir es versäumen, es zu erwerben, aus welchen Gründen auch immer, besteht unsere persönliche Ur-Schuld genau in dieser Dummheit. Der Täter trägt seine Schuld daher bis zur Beendigung der Ursachen ungeschmälert, uneingeschränkt, ob er sich des Unrechts bewusst ist oder nicht, oder ob er zuvor selbst Opfer eines Unrechts war.
      So wie die Gravitation keine Kenntnis voraussetzt, damit sie auf uns wirkt – ein Säugling unterliegt ihm genauso wie ein Physikprofessor -, wirkt das Naturrecht auch ohne unsere Kenntnis – weil das Universum so eingerichtet ist. Den Täter UND die Menschheit als Ganzes treffen die karmischen Konsequenzen.

      Verständnis für die inneren Bewegungen des Täters zu haben, kann sehr hilfreich sein, wenn man es nutzt. Ein Wissen, das nicht genutzt wird, ist nutzloses Wissen. Zu verstehen, was psychologisch zur Tat geführt hat, macht die Sache also erst besser, wenn man das Wissen dazu benutzt, künftiges Unrecht abzuwenden. Es ist die Aufgabe der Wissenden, den Unwissenden zur moralischen Umkehr zu helfen.
      Die Erfahrung zeigt, dass Menschen ihr falsches Verhalten erst ändern, wenn fremder Wille oder Zusammenbruch ihres falschen Denkens sie aufhalten. Wenn der Täter zur Umkehr unwillig ist, muss er dazu gezwungen werden oder er läuft buchstäblich ins Messer von einem, der sich seiner Haut wehren kann.
      Der Schaden vergrößert sich stetig, wenn man Täter, die ihre Schuld und deren Ursachen nicht einsehen, aus der Verantwortung entlässt (=ihn im Unwissen belässt). Sein Können oder Wollen spielt keine Rolle. Die „arme Ehefrau“, wie wir alle, sollte ihn besser an seine Schuld erinnern, bis er die Ursache seines Verhaltens ausgeräumt hat. (Nur weil das bisher versäumt wurde, konnte es zu der Tat kommen.) Und wenn wir selbst daran teilhatten, muss auch unsere eigene Schuld aufs Tablett. DAS ist Gerechtigkeit, mit der dann alle leben können. Es geht hier nicht um Strafe oder Anprangerung; man hält die Erinnerung an die Tat wach, bis das nicht mehr nötig ist: wenn der Täter sein Verstehen zeigt, also keine Gefahr mehr läuft, rückfällig zu werden.
      Hingegen sind New-Age-Vorstellungen von der Unschuld des Täters (weil er ja so schwer vom Leben gebeutelt wurde) pures Gift für die Herstellung von Gerechtigkeit. Und ja, solche gibt es – wir leben quasi darin – und sie wird, sofern sie verletzt wurde, immer wieder hergestellt werden. Die Frage ist nur, ob wir uns freiwillig daran beteiligen oder ob wir uns durch die Naturgesetze uns dazu zwingen lassen.
      Sei herzlichst gegrüßt,
      Jürgen

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